Ich habe manchmal Menschen da, für die es sehr schambehaftet ist, sich selbst so zittern zu lassen. Was, wenn mich jemand sieht? Oder: Was denkt sie jetzt von mir? Aber ich glaube, es ist der Leidensdruck, der uns schließlich dazu bringt, auch solche Methoden auszuprobieren, vor denen wir eventuell erstmal sehr großen Respekt haben.


Karla Johanna Schaeffer

Dipl. Des. Modedesignerin, Studium an der Fachhochschule Trier und am Istituto Europeo di Design, Milano, ​​aktuell Theologie Studium an der Universität Luzern, Ausbildung zur TRE-Providerin, Podcast “Calm is your Superpower”, Stresscoach mit Online-Praxis in Köln
https://www.karlajohannaschaeffer.com/


Für meine Interviewreihe „Mach’s weghabe ich rund 50 Interviews mit verschiedensten Perspektiven auf das Thema Gesundheit geführt. Schließlich wussten schon unsere Großeltern: Das Wichtigste im Leben ist die Gesundheit. Aber was ist das überhaupt? Lässt sich Krankheit einfach „wegmachen“? Und wieso kümmern sich Menschen umeinander?


Laurens Dillmann: Wie bist du zu deiner Berufung gekommen?

Karla Johanna Schaeffer: Ich habe mit etwas ganz Anderem gestartet. Ich bin eigentlich Modedesignerin, habe das studiert und auch lange in der Industrie gearbeitet. Dass ich jetzt etwas komplett anderes mache, hat mit meiner Gesundheit zu tun. Ich hatte Panikattacken. Damals wusste ich gar nicht, was das ist. Mein Körper hat einfach nicht mehr funktioniert. Es hat lange gedauert, für mich herauszufinden, was eigentlich los ist. Ich hatte mich davor nie mit Gesundheit beschäftigt. So fing das große Suchen an.

Jahre später habe ich TRE kennengelernt. Das hat mir unglaublich geholfen. Die Ausbildung dazu habe ich gemacht, weil es mir so gut getan und mich interessiert hat. Ansonsten ohne Hintergedanken. Dann hat mich mein alter Fashion-Job vom einen auf den anderen Tag nicht mehr interessiert. Vor zwei Jahren habe ich mich selbstständig gemacht und befasse mich nun mit all den Themen und Ansatzpunkten, wie man sich selbst helfen kann.

Wie hast du dich selbst verändert, seitdem du dich auf diese Weise mit Gesundheit befasst?

Es ist eine Veränderung meines Körper-Bewusstseins. Ich hatte davor kein Bewusstsein für meine Gesundheit. Bis nichts mehr ging. Verzweiflung, Hilflosigkeit, Ohnmacht, Panikattacken, sehr, sehr unangenehm. Es war ein langer Weg, zurück zu innerer Sicherheit zu finden. Nicht meinen Körper als ausrastenden Gegner zu empfinden. Ich schaue durch zwei ganz andere Augen als damals. Ich habe mein ganzes Leben umgestellt: Job, Tagesstruktur. Damit hat sich mein inneres Erleben verändert. Ausgelöst durch eine ziemlich tiefe Krise, aus der also etwas sehr Schönes entstanden ist.

Was ist TRE?

Das steht für „Tension and Trauma Releasing Exercises“, entwickelt von dem Psychoneurologen, Theologen und promovierten Sozialarbeiter Dr. David Berceli. Im Grunde lassen wir den Körper einfach wieder zittern. Diesen Mechanismus haben wir ja alle in uns, jedes Säugetier hat ihn. Wir bringen dem Körper wieder bei, diesen Mechanismus nutzen zu können. Dafür nehmen wir ein paar Übungen, um ihn erstmal künstlich zum Zittern zu bringen, bis es sich dann verselbstständigt. Dadurch können wir ganz tiefe Muskelanspannungen lösen. Stresshormone reduzieren. Und uns wieder fühlen.

Wir entladen uns dadurch. Wenn Tiere gejagt oder eingesperrt werden, wenn sie Angst haben, lassen sie dieses Zittern zu, um die Todesangst irgendwie ableiten zu können. Das ist ein Ventil des Körpers. Die Methode können wir einsetzen, um Dinge zu verarbeiten, die wir eventuell schon lange vergessen haben und gar nicht mehr fassen können, die aber trotzdem auf zellulärer Ebene in unseren Muskeln und unserem Gewebe gehalten werden.

Oft sagen die Menschen im Anschluss: Endlich kann ich meinen Körper wieder fühlen. Wer Trauma erlebt hat, hat oft eine Art Taubheitsgefühl im Körper, sperrt seine Gefühle weg und hat keinen Kontakt mehr zu ihnen. Oder man steht im Alltag unter Daueralarm und plötzlich dreht der Körper durch. Durch TRE lernen wir, den Körper sein Ding machen zu lassen, er kann sich selber befreien und wir werden wieder offen und empfänglich.

Was hat dir geholfen, deinen eigenen Körper und seine Reaktionen besser zu verstehen?

Dafür bin ich dem Internet und seinen Recherchemöglichkeiten sehr dankbar. Was mir total geholfen hat, war zu verstehen, was eigentlich passiert, wenn im Körper so eine riesige Anspannung wie bei einer Panikattacke entsteht. Wenn der Alarmmodus anspringt, wenn es biologisch ums Überleben geht, darum uns zu schützen. Dieses Verständnis ist wichtig und hilft bereits sehr.

TRE hilft, ins Fühlen zu kommen, und das ist so wichtig. Man nimmt einen Deckel ab und auf einmal kann sich etwas lösen, gefühlt werden und gehen, was vorher verschlossen war. TRE ermöglicht, damit zu sein. Es nicht direkt wegzudrücken und sofort das nächste zu tun. Es körperlich zu erfahren, und sich selbst dabei mit Mitgefühl zu begegnen: Die Empathie, die ich sonst anderen entgegenbringe, nun auch mir selbst zu geben. Es ist interessant, im Moment melden sich vor allem viele Männer mit dem Thema Stress und Überforderung bei mir. Der Weg über den Körper heißt ja auch, dass wir nicht immer alles erklären und analysieren müssen. Der Körper tut die Arbeit, man tritt aus dem Weg und lässt ihn sich entladen.

Warum kümmerst du dich um andere?

Zuerst habe ich mich um mich selbst gekümmert. Irgendwann habe ich angefangen, anderen Menschen davon zu erzählen und sie fanden es total interessant. Nun in meinem Beruf mache ich das eigentlich noch immer. Ich erzähle zum Beispiel in meinem Podcast von dem, was mich beschäftigt und was mir geholfen hat. Ich versuche nach wie vor, für mich Dinge herauszufinden. Und ich freue mich, wenn das anderen weiterhilft.

In welchem Zustand musst du selbst sein, wenn du anderen Menschen helfen willst?

Ich bekomme oft das schöne Kompliment, dass Menschen sich bei mir sicher fühlen. Meine TRE-Ausbilderin – sie ist Engländerin – hat es immer „holding the space“ genannt. Ich schaffe den Rahmen, wo der andere sich so zeigen kann, wie er ist. Wohin er kommen kann, mit dem was da ist. 

Es geht einfach immer um Sicherheit. Wir können uns und anderen nur helfen, wenn der Körper und das Nervensystem begreifen, dass sie sicher sind. Das können wir uns aber nicht einreden. Sondern das verkörpern wir bzw. wir können uns beruhigen und heilen, wenn es uns gelingt, dem Körper dieses Sicherheitsgefühl wieder zurückzugeben. Methoden sind letztendlich nur Methoden. Auch der Rahmen, in dem die Methoden angenommen und gelernt und umgesetzt werden, ist wichtig. Sicherheit ist ein großes Thema bei der TRE Methode. Zum einen zu lernen, mit möglichen aufkommenden Empfindungen und Gefühlen umgehen zu können, und zum anderen sich ‘sicher’ genug zu fühlen, um in das erstmal seltsame Körperzittern einzuwilligen. Es anzunehmen und zuzulassen, denn es fühlt sich anfangs sehr intim an und geht nah.

Wir kommen hier mit unserem Willen allein nicht weiter. Wir wenden kein intellektuelles Wissen an, sondern der Körper geht in einen Prozess. Unsere Prozesse sind alle unterschiedlich schnell, klein und groß. Und der Körper beim Zittern lässt das zu, was er gerade bewältigen kann. Es geht darum, die Kontrolle auch mal loslassen zu können. Das fällt vor allem uns Frauen schwer.

Ich habe manchmal Menschen da, für die es sehr schambehaftet ist, sich selbst so zittern zu lassen. Was, wenn mich jemand sieht? Oder: Was denkt sie jetzt von mir? Aber ich glaube, es ist der Leidensdruck, der uns schließlich dazu bringt, auch solche Methoden auszuprobieren, vor denen wir eventuell erstmal sehr großen Respekt haben.

Was bedeutet Gesundheit für dich? Wie hast du deine eigene Heilung von den Panikattacken erlebt?

Da komme ich zum Wort Sicherheit zurück. In meiner akuten Überforderungsphase habe ich erlebt, dass der Boden unter meinen Füßen gewankt hat und nicht mehr sicher war. Ich war ohnmächtig, ich konnte mir nicht helfen. Ich habe meinen Körper als Schlachtfeld empfunden. Gesundheit bedeutet für mich heute, dass ich mich selbst beruhigen kann. Auch wenn das Leben Chaos macht und abbiegt, wo ich gar nicht abbiegen wollte. Dann trotzdem immer wieder in die Ruhe und Sicherheit zu kommen. Dazu gehört auch das Bewusstsein, nicht alles kontrollieren zu können, was kommt und passiert. Und sich dennoch beruhigen zu können. Sogar mit den schwierigen Gefühlen sein zu können, die manchmal einfach dazu gehören. Früher hatte ich das nicht. Da dachte ich in solchen Momenten, ich sterbe, ich kann nicht mehr.

Aber irgendwann geht es dir wieder besser. Dann ist es kein Durchkämpfen mehr. Du freust dich, dass du schwindelfrei laufen kannst, dass jeden Tag etwas geht, was vorher nicht ging. Dass du Dinge im Leben wieder als schön und nicht als Belastung empfindest. Dein Fokus verändert sich vollkommen.

Was können wir tun, um in der Corona-Situation gesund zu bleiben?

Ich glaube, viele erfahren gerade jetzt, was man sich selbst antut, wenn man im Dauerstress ist. Angst, Schuldgefühle, Scham, all das löst Stress in uns aus. Wir brauchen ein Bewusstsein dafür, was wir uns selbst damit antun. Bei mir war dieses Verständnis der erste Schritt nach vorn.

Es wäre also gut, etwas zu finden, womit man sich selbst beruhigen kann. Bei TRE spürt man direkt danach: Etwas hat sich entladen. Und der nachhaltige Effekt, der vielleicht erst nach ein paar Monaten kommt: Ich fahre nicht mehr so schnell hoch. Oder ich bemerke es zumindest und kann etwas dagegen tun. Die kritischen Momente verzögern und entschleunigen sich mit der Zeit. Man kann sie schneller wahrnehmen und schneller handeln.

Wie sähe ein Gesundheitswesen nach deinen Wünschen aus?

So groß habe ich noch nie gedacht. Spontan würde ich sagen: Mehr Platz für Körperarbeit. Mehr Körpertherapie. Mehr Wege, unseren Körper sprechen zu lassen, mehr den instinktiven Weg zu gehen. Uns selbst und unseren Körper als Team zu verstehen. Zu verstehen, dass die Reaktion unseres Nervensystems, den Zustand unseres ganzen Körpers verändert. Indem unterschiedliche Systeme anspringen: Fight, Flight, Freeze oder eben das der Homöostase. Und dass unser körperlicher Zustand bestimmt, wie wir die Welt wahrnehmen können. Wir brauchen ein Bewusstsein, dass es Methoden gibt, die uns helfen könnten, obwohl sie noch nicht on vogue sind. Obwohl sie uns auf den ersten Blick vielleicht ein bisschen seltsam und freaky erscheinen.

Als ich TRE selbst kennengelernt habe, habe ich so oft gedacht: Warum wusste ich denn davon nichts? Warum hat mir das keiner gesagt? Es gehört in unser Alltagsbewusstsein, dass es noch mehr  Wege gibt als die bereits betretenen.

 

Foto-Credit: Karla Johanna Schaeffer

Online: https://www.karlajohannaschaeffer.com/

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