“Der Begriff „Gesundheit“ hat sich nicht verändert, aber der Umgang damit hat sich radikalisiert. Das Technokratische. Gesundheit heißt jetzt, ich habe einen negativen Test. Ich bin nicht befleckt. Ich kann zwar unglaubliche Panik und Angst haben, hormonell ein ganz hohes Stresslevel, Blutdruck, Einsamkeit, Isolation – eigentlich ein Zustand von Krankheit – aber ich bin nicht infektiös. Ein Bruchteil des gesamten Spektrums meines Wohlbefindens wurde ins absolute Zentrum der Aufmerksamkeit gezerrt.”
Bastian Barucker
Permanente Lehre zum Überlebenstrainer und Wildnispädaogen, Weiterbildung im Bereich Spurenlesen, Vogelsprache, Friedensstiften, Erzieher, langjährige Aufenthalte in der Wildnis, Gründung einer Wildnisschule, Ausbildung in Gefühls- und Körperarbeit, seit Corona auch journalistisch tätig, an Veröffentlichung der “RKI-Files” beteiligt https://bastian-barucker.de/
Für meine Interviewreihe „Mach’s weg“ habe ich Interviews aus verschiedenen Perspektiven über die Corona-Krise, den Graben zwischen “Alternativ-” und Schulmedizin, und über eines der wichtigsten Themen im Leben geführt: Gesundheit. Aber was ist das überhaupt? Lassen sich Krankheiten und ihre Symptome einfach „weg machen“? Wieso kümmern sich Menschen umeinander? Und wie sähe ein Gesundheitssystem aus, das diesen Namen auch verdient hat?
Das Interview wurde im April 2021 via Zoom geführt
Laurens Dillmann: Warum übst du deinen Beruf aus?
Bastian Barucker: Es sind ja zwei Berufe. Erstens Wildnispädagoge oder Überlebenstrainer. Da gehe ich mit Leuten in den Wald, mit der Hauptintention, dass sie sich verbundener fühlen. Ich versuche, sie zu ihrer eigenen ursprünglichen Lebensweise rückzukoppeln. Es ist relativ bekannt: Wir Menschen kommen eigentlich aus einem Jäger&Sammler-Leben. Naturverbundenheit war früher keine Option, sondern eine Begleiterscheinung unseres Lebens. Erst fand ich es selbst einfach spannend, es war meine Abenteuerlust: Könnte ich im Wald überleben? Ich habe in verschiedenen Ländern in den Wäldern gelebt und überlebt. Dabei haben sich viele Fragen für mich beantwortet, die ich sonst noch mitgebracht hatte. Wie geht Lernen? Wie lebt man in Beziehungen? Wie lebt man gemeinsam? Wie in einem Buch hat sich mir immer mehr eröffnet, dass es im Jäger&Sammler-Leben darauf Antworten gibt. Auch auf deine Frage: Was ist Gesundheit eigentlich?
Ich habe realisiert, dass Leute, die eng in der Natur leben, sich diese Fragen irgendwie nachhaltig beantworten und mit den Konsequenzen ihrer Entscheidungen sehr direkt leben müssen. Auch in unserer Gesellschaft leben wir eng mit der Natur in Kontakt, auch wenn es vielen nicht mehr so scheint. Dafür haben wir die Konsequenzen wie nach hinten verlagert.
Also, seit 15 Jahren gehe ich mit Menschen in den Wald und zeige ihnen, wie man Feuer macht, Vogelsprache lernt, Spuren liest, Hütten baut, Leder gerbt, Körbe flechtet. Ganz oberflächlich-haptisch und in der Tiefe verbinden sie sich so mit der Natur. Und wer sich mit der Natur verbindet, verbindet sich auch mit sich selbst. Denn wir sind Natur. Diese Arbeit hat mich sehr beeindruckt und tut es noch immer.
Mein zweiter Beruf: Ich habe in all den Jahren gemerkt, dass bei Menschen stetig Themen hochkommen, die Beziehung unmöglich machen. Sie stoßen immer wieder an die gleichen Barrieren, um in Beziehung zu sein. Dabei handelt es sich meist um früh erlernte Beziehungsmuster, die unbewusst das aktuelle Leben beeinflussen. Das passiert nicht nur in der Wildnis, sondern in jeder Partnerschaft oder in der Eltern-Kind-Beziehung. So habe ich mich bei mir auf Spurensuche begeben: Wo kommen meine Themen her? Um dann festzustellen: Wir sind von Zeugung an fühlende Wesen und alles, was wir erleben, hinterlässt tiefe Spuren.
So habe ich mich jahrelang in Selbsterfahrung begeben und auch ausbilden lassen, um irgendwann Leute zu ihrer eigenen Natur zu begleiten. In meiner Arbeit geht es also sowohl um die äußere Natur als auch um die innere. Beide haben damit etwas zu tun, sich der Frage zu nähern: Was ist für mich ursprünglich, natürlich, richtig, stimmig? Und beide Berufe sind natürlich mit Gesundheit verbunden. Wenn ich verbundener zur Natur und zu mir bin, trägt das sicher zur Gesundheit bei.
Wie verändern sich Menschen, wenn du mit ihnen arbeitest?
Sehr. Ich sehe in der Wildnisarbeit, dass Menschen ganz schnell runterkommen. Stress ist sicherlich ein großes Thema. Das ist gut bekannt: Stress, Stress, Stress. Einer der krankmachendsten Faktoren, die es überhaupt gibt. Menschen, die draußen sind, haben nicht weniger, aber anderen Input. Viel dezenter. So kommt man runter. Die Leute beruhigen sich. Sie spüren und fühlen mehr, vor allem sich selbst. Sie schlafen anders. Sie nehmen anders wahr. Eigentlich ist es unglaublich, was passiert, wenn Menschen nur ein paar Tage fernab von Zivilisation leben. Natürlich sind da auch pädagogische Erkenntnisse wichtig: Wo kommen mein Wasser, mein Strom, mein Essen eigentlich her? Das sind Einsichten, die fürs Leben wichtig sind.
In meiner anderen Arbeit – der Gefühls- und Körperarbeit – ist es meistens erstmal so, dass Menschen überhaupt verstehen, warum sie sich verhalten, wie sie sich verhalten. Meistens wissen sie es nicht und es ist ihnen völlig unzugänglich. In längeren Prozessen entdecken Menschen dann, dass sie als Erwachsene noch immer Verhaltensweisen an den Tag legen, die sie zu längst vergessenen Zeiten gelernt haben. Prägende Erfahrungen, die wie verschüttet sind. Beispiele: “Es macht gar keinen Sinn zu sagen, was ich will. Es hört mich ja eh keiner. Keiner nimmt wahr, was ich brauche. Mich liebt eh keiner. Ich bin eh alleine. Ich gehöre eh nicht dazu.” Das sind tief eingedruckte Sätze und die meisten Leuten wissen gar nicht, woher sie diese haben. Über dieses Verstehen erlangt man mehr Bewusstsein über die eigene Lebensgeschichte.
Was für Fähigkeiten brauchen Menschen in Heilberufen, die sich um andere kümmern?
Da gibt es ein ganz schönes Buch: “Die hilflosen Helfer” von Wolfgang Schmidbauer. Ich habe zwei Jahre an einer Hochschule für Sozialarbeiter unterrichtet. Ich war mit denen nicht einen Tag in der Schule. Wir waren nur im Wald. Es war eine intensive Zeit. An einem Wochenende saßen die Leute da und sagten: “Wow, wir sind voll im Konflikt und wir haben keine Ahnung, wie wir das jetzt regeln.” Und ich sagte: Ja, das ist eine wichtige Erkenntnis. Es ist etwas ganz anderes, kognitiv und theoretisch zu lernen, wie ich helfe, und dann selbst bei mir zu spüren: Es gibt Grenzen. Wie gehe ich damit um?
In meiner Lernreise war es immer der praktische Erfahrungsweg. Ich sage das, weil ich denke, es ist ganz schnell möglich, in einen helfenden Beruf zu gehen, ohne die eigene Hilflosigkeit und Ohnmacht vorher erlebt zu haben. Ich erlebe in diesem Beruf oft Kompensation. Man lässt anderen das zukommen, was man selbst gerne gehabt hätte, aber nie bekommen hat. Ich will darüber nicht werten, aber es ist wichtig, sich darüber bewusst zu sein. Denn das hat mit der eigenen Motivation zu tun.
Wir finden viel Burnout in diesen Berufen. Eine Kompetenz sollte die Selbsterfahrung sein. Soziale Arbeiter als auch Erzieher sollten unbedingt diese Arbeit machen: Was ist ihnen eigentlich selbst als kleines Kind passiert? Und zwar nicht kognitiv, sondern am eigenen Leib erfahren. In meiner eigenen Arbeit erlebe ich das: Über das Erfahren der eigenen Emotionen wird mir auch klar, welche Art von Hilfe ich als angenehm und wirklich hilfreich empfinde. Mir fehlt dieser Aspekt viel zu stark in den Ausbildungsbereichen für Heilberufe.
Eine gesunde Form von Abgrenzung ist wichtig. Es gibt auch das mitleidende Helfen. Du tust mir so leid, dass ich mich in dein Geschehen reinziehen lasse und den Überblick verliere. So kann ich nicht mehr helfen, ich leide mit und verschlimmere die Situation. Aber natürlich braucht es auch ein Einlassen, ein Mitfühlen-Können. Ich kann das am besten, wenn ich mein eigenes Leid gut ausgelotet habe. Ich begleite auch Menschen, die Missbrauch und Vergewaltigung erfahren haben. Wenn ich in mir selbst nicht schon Kontakt zu tiefem Schmerz gehabt hätte, könnte ich solche Menschen nicht begleiten. Wenn mir so etwas noch Angst macht, kann ich nicht begleiten. Ich bin kein Fan des Wortes Heilung, ich nenne es lieber „integrieren“. Wenn ich genug in mir integriert habe, hilft das auch allen anderen.
Warum will ich eigentlich anderen helfen? Fühle ich mich weniger wert, wenn ich anderen nicht helfe? Ist das meine Motivation? Dann benutze ich die anderen. Dann ist es geschmuggelte Hilfe. Dann habe ich eigentlich Angst vor meiner eigenen Leere und Wertlosigkeit und lebe vom „Danke“ der anderen. Natürlich ist Dankbarkeit schön, aber wenn ich sie brauche, um mich wertvoll zu fühlen, schmuggele ich in meine Tätigkeit etwas, wofür die anderen gar nicht zuständig sind. Im besten Fall fühle ich mich einfach wertvoll und ich habe Gutes zu geben, aber bin nicht davon abhängig, dass mich andere als hilfsbereit empfinden.
Da gibt es ansonsten eine ganz gemeine Zwickmühle. Es könnte ja sein, dass ich in meiner Arbeit mit jemandem explizit nicht hilfreich sein darf, damit der- oder diejenige etwas lernen kann. Wenn ich darauf angewiesen bin, dass andere mich immer toll finden, kann ich selbst nicht mehr frei handeln. Eigentlich müsste ich jetzt provokativ sein. Es kann passieren, dass ich dann nicht als toller Helfer empfunden werde. Aber so bin ich offener in meiner Arbeit.
Warum bist du kein Fan vom Begriff Heilung?
„Heilung“ klingt wie: Es ist ganz. Fertig. Nicht mehr verletzt. Für mich haben viele Menschen eine falsche Vorstellung vom Prozess, in den sie sich begeben, wenn sie nach Heilung suchen. Meine Erfahrung zeigt mir: Es braucht jahrelange Arbeit, um etwas sehr Prägendes oder Traumatisierendes zu integrieren. Integrieren heißt nicht: Es ist weg. Es wird niemals weg sein. Aber es heißt, dass ich mit etwas umgehen kann, das ich erlebt habe.
Nehmen wir an, ich wurde allein gelassen, war völlig ohnmächtig und musste schreien. Das ist meine Geschichte, sie wird immer da sein und bleiben. Aber wenn ich mit ihr gearbeitet und sie integriert habe, merke ich: Ich bin nicht mehr davon überwältigt. Das ist meine Geschichte. Ich nehme sie wahr. Ja, ich wurde damals alleine gelassen. Ich habe den Eindruck, manche Menschen erwarten von Heilung, dass ein solches Erlebnis aus ihrem Leben getilgt wird. Es berühre sie nicht mehr. Das habe ich aber noch nie bei jemandem erlebt. Ich erlebe eher, dass Menschen so etwas dann mit Würde tragen. “Das ist meine Geschichte, sie hat mich sensibel gemacht. Jetzt habe ich Handlungsmöglichkeiten, kann mit anderen darüber reden und sie sogar weitergeben.” Das ist etwas ganz Schönes.
Ersetzen Heilberufe in unserer Gesellschaft zwischenmenschliche Beziehungen?
Sicherlich gibt es das. Wenn du sonst niemanden hast, der dir zuhört, kann ein Therapeut der Ersatz für soziale Nähe sein. Ich finde es auch legitim zu sagen: Ich brauche das und ich bezahle sogar jemanden Professionelles dafür. Aber das kann auch eine Dynamik bekommen, in der es an wirklicher Tiefe mangelt. Ich gehe dann zur Therapie und spreche mich mal wieder so richtig aus. Danach wieder eine Woche zurück in meinen Alltag und dann kann ich mich wieder aussprechen. Deswegen stelle ich immer die Frage: Was ist der eigentliche Kern? Was ist der Ursprung?
Welche Rolle spielt der Körper in deiner Arbeit?
Mein Einstieg war meine eigene Euphorie, nachdem ich selbst körpertherapeutische Erfahrung gemacht hatte. Ich kam an Dinge heran, die mir völlig unbewusst waren. Als kleiner Säugling alleine schreiend irgendwo liegen. Das habe ich nur spüren können als ich mich mit meinem Körper so hinlegte, wie der Säugling auch lag. Das kann ich nicht kognitiv erschaffen. Es hat mich so begeistert, als ich merkte, dass man da an ganz neue Tiefen gelangte. Wow, mein Körper hat meine Zeit als Säugling, sogar mein körperliches Erleben und das Erleben meiner Vorfahren in seinen Zellen eingespeichert. Die Epigenetik erforscht das mittlerweile wissenschaftlich.
Da ich ein Praktiker bin, habe ich es über Jahre und an hunderten Menschen gesehen: Ihr Körper erinnert sich an ihre gesamte Geschichte. Der Körper ist der Zugang zu dem, was unter dem Bewussten liegt. Oft meinen wir ja: Naja, jetzt habe ich verstanden, wo das Problem liegt, ich treffe jetzt eine andere Entscheidung. So einfach ist es aber nicht. Es braucht Zugang zu diesem Unbewussten. Der Körper ist der Schlüssel.
Es kann zum Beispiel ein Schmerz sein, der immer wieder kommt. Die Ursache ist aus gutem Grunde unbewusst. Wenn ich schon sehr früh etwas ganz Schlimmes erlebt habe, musste das abgespalten werden. Für ein kleines Kind ist dass viel zu intensiv, lebensbedrohlich. Im Tierreich sehen wir zum Beispiel, dass sich Tiere nach lebensgefährlichen Stresssituationen schütteln, um den Stress wieder loszulassen. Ursprüngliche Völker wie die San-Buschmann oder die Hadzabe, bei denen ich schonmal war, haben Schütteltänze. Sie wissen wahrscheinlich darum, dass der Körper diese Dinge speichert und dass sie raus müssen. Sie haben das aber nicht „Körperpsychotherapie“ genannt, sondern Tanzen.
Es gibt zum Beispiel Menschen, die sind unglaublich intelligent, clever und können ganz viel reden. Sie können eine Stunde reden, aber sie können nicht fühlen. Das macht sie selber unzufrieden. Aber ihr Verteidigungsmechanismus ist so gut, dass sie da einfach nicht rankommen. Für solche Menschen ist der Körper ein goldener Weg. Innerhalb weniger Minuten können sie weinen, sich freuen oder schreien, sich selbst ganz neu erleben.
Wie hast du das letzte Pandemie-Jahr erlebt? Wie geht es dir damit?
Das letzte Jahr war sehr intensiv. Mein „Highlight“ war, dass meine Frau und ich ein Kind erwarteten. Wäre es im Krankenhaus geboren, hätte ich lediglich eine Stunde dabei sein dürfen. Ich habe meine Arbeit stillgelegt, da ein Kind vor allem zu Beginn beide Eltern braucht. Meine freie Zeit habe ich dann genutzt, mich mit Corona zu beschäftigen und relativ schnell gemerkt, dass es zwei Blasen gibt: „Panik“ und „Ruhe“, die ich beide auch aus meinem Job als Überlebenstrainer kenne.
Ich bin sehr erfahren, Situationen auf ihre Gefahr hin zu überprüfen und mir zu überlegen: Was ist dann zu tun? Wenn ich in der Wildnis in eine Gefahrensituation komme, bedeutet eine Übersprungshandlung auf lange Sicht den Tod. Wer eine Gefahr falsch einschätzt und all seine Energie in Panik verbrennt, stirbt eher als jemand, der Ruhe bewahrt. Man muss sich immer überlegen: Wie viel Energie verbraucht meine Handlung und ist das adäquat gegenüber der Gefahr? Ich weiß um dieses Protokoll, das vor allem Notfallmediziner anwenden: Ruhe bewahren.
Ich hatte fast Spaß an der Recherche. Ich habe mir Wissenschaftler angehört, die beruhigten und am nächsten Tag hörte ich wieder jemanden, der uns allen den Tod prognostizierte. Für mich war dann relativ schnell klar, dass man mit einfachen Zahlenspielertricks wie „positiv getestet“ und „infiziert“ Leute beeinflussen kann und das auch tut. Ich bin auf Demos gegangen, habe Reden gehalten, und habe für meine Positionierung auch gesellschaftlichen Ausschluss erfahren, bis hin zu „du bist rechts, du bist Antisemit, etc“.
Ich habe dann zwei Petitionen gemacht, die insgesamt 110.000 Menschen unterschrieben haben, mit der Forderung an die ARD, dass sich hochkarätige Wissenschaftler, Lockdown-Befürworter und Maßnahmen-Kritiker an einen Tisch setzen und diskutieren. Wir Bürgerinnen und Bürger sollten das zu bester Sendezeit zu sehen bekommen. Es ist nie passiert. Und mir wurde klar: Der, der den Diskurs verhindert, hat etwas zu verbergen. Nicht der, der den Diskurs eingehen würde. Jemand, der respektvoll und zu einem Dialog bereit ist, ist menschenfreundlich und gesundheitsfreundlich. Im letzten Jahr habe ich ein Gespür dafür bekommen, dass manche Menschen offen und respektvoll für die Gesundheit aller sind und manche eben nicht.
Aus meiner professionellen Sicht findet gerade eine kollektive Riesen-Traumatisierung statt. Es gibt natürlich immer Schlimmeres. Aber das Subtile und Subversive: Die Gefahr ist immer und überall. Jeder ist ein Spreader. Du könntest deine Eltern töten, wenn du dir nicht die Hände wäschst. Das hat sich jetzt schon so tief in unser Verhalten geprägt, dass bei einer Begegnung nicht mehr klar ist, wie man sich eigentlich begegnen kann. Was ist jetzt noch okay?
Ich weiß noch, als ich die Erzählungen aus den Altenheimen hörte, habe ich einfach geweint. Das kann ich nicht verarbeiten, bin ich ganz ehrlich. Wenn ich mir überlege, dass das hunderttausendfach so passiert, dass Menschen in Einsamkeit sterben oder mit Bundeswehrbegleitung geimpft werden…und natürlich die Kinder, die das alles mitmachen müssen und lernen: Ich bin für andere gefährlich, Körperkontakt, Nähe und Singen sind gefährlich, nicht Hände waschen ist gefährlich…Das wird ihre Persönlichkeit tiefgehend und vielleicht irreversibel verändern. Je nachdem, wie gut sie begleitet werden und was sie für ein Elternhaus haben. Ich habe leider tiefe Sorgen um diese Kinder.
Also, ich erlebe Verzweiflung, Traurigkeit, Wut, manchmal auch Hoffnung und Freude. Wenn ich merke, es bilden sich Netzwerke, Leute tauschen sich aus, es gibt Dialoge, Nachforschungen, Interesse aneinander, ich selbst komme ins Tun und Handeln, in die Verantwortung. Das finde ich auch schön. Es geht bei all dem wirklich viel um Eigenverantwortung.
Was bedeutet Gesundheit für dich und was ist seit dem letzten Jahr mit diesem Begriff passiert?
Für mich heißt das eigentlich: Im Einklang mit dem zu leben, was für mich stimmig ist. Meine echten Bedürfnisse sollten erfüllt werden. Und ich brauche die Fähigkeit, die Verantwortung zu übernehmen, mein Leben dahingehend zu gestalten, sodass dann Gesundheit entsteht. Das braucht viel Bewusstseinsarbeit. Ich muss ja erstmal wissen, was ich brauche, damit es mir gut geht. Ich kenne den schönen Spruch eines Indigenen, der sagte: Wenn du etwas weißt, bist du nicht mehr unschuldig. Dann trägst du Verantwortung, danach zu handeln. Was Ärzte und Wissenschaftler angeht, wäre das ein ganz wichtiger Satz: Mit Wissen kommt Verantwortung.
Der Begriff „Gesundheit“ hat sich nicht verändert, aber der Umgang damit hat sich radikalisiert. Das Technokratische. Gesundheit heißt jetzt, ich habe einen negativen Test. Ich bin nicht befleckt. Ich kann zwar unglaubliche Panik und Angst haben, hormonell ein ganz hohes Stresslevel, Blutdruck, Einsamkeit, Isolation – eigentlich ein Zustand von Krankheit – aber ich bin nicht infektiös. Ein Bruchteil des gesamten Spektrums meines Wohlbefindens wurde ins absolute Zentrum der Aufmerksamkeit gezerrt.
Diese reduktionistische Sicht ist fatal, aber schon lange Teil unseres Gesundheitsbegriffes. Wenn ich schon vom “Kampf” gegen Krankheiten höre, muss ich eigentlich laut und deutlich “Stop!” sagen. Das ist keine sinnvolle Strategie. Wenn ich diese Worte höre, höre ich Menschen, die ein traumatisiertes Verhältnis zum Leben haben. Sie mussten sich immer durchkämpfen. In der Wildnisarbeit suchen wir den Komfort in der Natur, nicht den Kampf. Wir brauchen Komfort und Zufriedenheit, sonst können wir nicht miteinander leben. Der Kampf hat natürlich auch seinen Platz im Leben, aber er sollte nicht zum Dauerzustand werden.
Wir bekämpfen also ein Virus. Die Nebenwirkungen sind völlig unbedacht. Und das ist keine rocket science, wie die Amerikaner sagen. Einfach gesunder Menschenverstand. Aber wenn genügend Angst herrscht, ist auch genau der Teil des Gehirns abgeschaltet, der abwägt und reflektiert. In einer Survival-Situation ist das auch gut und richtig: Ich muss schnell handeln, schnell wegspringen. Und diese Situation wurde in eine ganze Gesellschaft induziert. Sie verhindert, dass wir Gesundheit ruhig und bedacht sehen, sondern wir leben in ständiger Alarmbereitschaft.
Ich bin ehrlich, mir macht das Angst. Du bist nicht gefährlich, weil nicht infektiös. Und es ist egal, wie es dir sonst so geht. Das siebenjährige Kind kann hinter der Maske heulen und komplett depressiv sein, vielleicht sogar Suizidgedanken haben, aber der Test ist negativ: Na Glück gehabt! Das ist für mich eine Entartung des Gesundheitsbegriffes. Wir wollen über so etwas Natürliches wie ein Infektionsgeschehen Kontrolle und Macht ausüben. Jetzt gipfelt es darin, dass wir etwas kontrollieren wollen, was nicht kontrollierbar ist. Eine völlige Selbstüberschätzung.
Eine der schlimmsten Entwicklungen ist, dass wir ausblenden, dass wir Verantwortung für unsere Gesundheit haben. Wenn wir diese annehmen und uns gut um uns selbst und andere kümmern, ist schon viel getan. Aber die Verantwortung wird nach außen geschoben – auf Tests, Masken, Impfungen. Manches davon mag auch stimmen und wichtig sein, aber die Frage fehlt: Wer bin ich eigentlich dabei? Wie geht es mir damit? Das fehlt mir völlig, vor allem im Umgang mit unseren Kindern. „Setz dich auf die Couch, friss Chips und rette Leben“, so der Spot der Bundesregierung. Alleine diese Art der Kommunikation hat mir gezeigt, dass die Menschen, die so argumentieren, ganzheitliche Gesundheit überhaupt nicht im Blick haben. Und damit wieder Krankheit erschaffen.
Also eine zunehmende Polarisierung und Polemik in der Kommunikation. Wie konnte es überhaupt zu diesen gesellschaftlichen Dynamiken kommen?
Der Psychiater Hans-Joachim Maaz sagt das ganz deutlich: Die narzisstisch gestörtesten kommen in unserer jetzigen Kultur in die Führungspositionen. Da würde ich voll mitgehen. Ich denke, wir leben in einem System, wo der, der mitmacht und nach Macht strebt (weil er sich als Kind ohnmächtig gefühlt hat), es weit bringen und in Führungspositionen landen wird. Für diese Positionen braucht man – pauschal gesagt – nämlich keine Empathie. Ich glaube nicht, dass jemand, der stark empathisch ist, die Erde aber auch Menschen so systematisch ausrauben und ausbeuten wird, wie es mancherorts getan wird. Aber auch der Top-Sportler oder Top-Musiker, der eigentlich Selbstmord auf Raten begeht, weil er sein Leben und seinen Körper für ein paar Jahre Ruhm kaputt macht, wird gefeiert. Eigentlich ist das gestört. Sich selbst kaputt machen vor den Augen aller. Das sind die Heldengeschichten unserer Zeit, die auch die Kinder sehen.
Gerade unsere Führungspersönlichkeiten haben wohl viele dieser sozial unverträglichen Eigenschaften. Der Begriff „Psychopath“ passt da sicherlich mit rein. Mit „dem Bösen“ an sich, wie es heute auch viel getan wird, würde ich aber nicht argumentieren. Selbst die fiesesten Täter sind Opfer. Dahinter steht immer eine Geschichte der eigenen Ohnmacht und des eigenen Ausgebeutetseins. Ich glaube, die Leute, die jetzt Entscheidungen treffen, die viele Opfer fordern, waren selbst auch einmal Opfer. Ich sehe das ja bei den Leuten, mit denen ich arbeite, die selbst diese Dinge erlebt haben. Welche Verhaltensweisen sie selbst entwickeln. Sie handeln z.B. gewalttätig, weil sie selber Gewalt erlebt haben und nur diese Handlungsstrategie erlernt haben.
Ich habe mich damit beschäftigt, wie Führungspositionen in nativen Gesellschaften ausgesehen haben. Genau das Gegenteil. Es sind diejenigen, die es geschafft haben, nicht zu diktieren, was passiert, sondern alle Stimmen zusammengeholt haben. Demütig, respektvoll, Familienväter oder -mütter mussten sie sein. Sie sollten sogar arm sein, viel abgeben an andere. Wir haben das bei uns umgedreht und das ist ein Riesenproblem, weil unsere Kinder und Jugendlichen nun auch nach Ruhm und Macht streben.
Es bräuchte eine starke emotionale Aufrüttelung dieser Menschen, die bereits tief in diese Dynamiken hineingesogen wurden. Natürlich, man könnte sagen, jemand, der einen Missbrauch begangen hat, ist ein Monstrum. Wie wäre es aber, wenn wir diese Leute aufwecken könnten, ohne sie blind zu hassen? Wie könnten diese Leute wachgerüttelt werden, zur Erkenntnis: Wow, was tue ich eigentlich hier? Warum bin ich so sehr vom Weg abgekommen? Das wird es brauchen, damit wir eines Tages einander verzeihen können. Darin sehe ich Möglichkeiten, dass sich eines Tages die Dinge auch wieder ändern, wenn wir einander wieder emotional erreichen. Wir brauchen einfach gesellschaftliche Gespräche über unsere frühkindlichen Erfahrungen und Prägungen, damit wir einander besser verstehen und vertrauen können. Menschen wollen Vertrauen, sonst käme es ja gar nicht zu der Situation, in der wir jetzt sind.
Das Thema Projektion ist hier sehr wichtig. Man muss sich selbst immer wieder prüfen: Ist das jetzt meine persönliche Geschichte, dass ich annehme, die „bösen Regierenden“ (also eigentlich Mama & Papa) wollen mir eh immer nur Schlimmes? Das wäre dann meine Geschichte und meine Projektion nach außen. Wenn ich Eltern hatte, die mir regelmäßig Schlimmes angetan haben, kann ich natürlich mit einem Hass auf alle Obrigkeit und Autorität reagieren. Das passiert zur Zeit viel und heftig.
Oder: Stimmt es wirklich? Es gibt nämlich auch die andere Seite der Projektion: Ich traue mich gar nicht in Erwägung zu ziehen, dass die, denen ich mein Wohlbefinden anvertraue, mein Vertrauen missbrauchen würden. Ich müsste mich dann nämlich fragen: Kenne ich das irgendwoher? Habe ich das schonmal gemacht: Jemandem Vertrauen geschenkt und dann wurde nicht in meinem Sinne gehandelt und entschieden? Könnte es wirklich sein, dass die, denen ich per Stimmzettel mein Vertrauen geschenkt habe, gerade nicht in meinem Sinne handeln? Ich glaube, wenn ich mich das ernsthaft fragen würde, kämen Erinnerungen und Gefühle hoch, die sehr unangenehm sind.
Erst, wenn ich meine ganz persönliche Geschichte integriert habe, kann ich mir beide Perspektiven anschauen und für mich herausfinden, was daran plausibel ist. Aber vor einer solchen Erkenntnis liegt eben die Arbeit mit unseren unbewussten Anteilen.
Was kann jeder im Alltag für die eigene Gesundheit tun?
Ganz wichtig: Bedürfnisse wahrnehmen. Was wünsche ich mir, was tut mir gut? Und was hält mich eigentlich im Alltag davon ab, genau das zu tun? In den Wald gehen, gutes Essen, Freunde treffen, Musik, Spaß, Ruhe sind Dinge, für die es keinen Gesundheitsexperten braucht. Aber ich brauche die Kompetenz für meine persönlichen Bedürfnisse. Ich finde die Frage schön: Was müsste ich tun, damit es sich lohnt, hier zu sein? Einfach da sein, wo ich bin.
Foto-Credit: Bastian Barucker
Ein sehr schöner Text der zum Nachdenken anregt.
Ich danke dir für das Weitergeben deiner Meinung und Eindrücke.
Ich wünsche dir das Beste für dich und deine Familie!