„Ich habe 25 Jahre darauf hingearbeitet, dass mir dieser Ball zugespielt wird. Corona deckt auf, Corona deckt eine Medizin auf, die, was den Umgang mit menschlichem Leben betrifft, sehr zu kritisieren ist. Die Covid19-Krise ist eine Krise der gesamten westlichen Medizin.” – „Unsere westliche Medizin hat ein großes Problem mit Beziehung. Das kann man gut an der Arzt-Patient-Beziehung sehen, die häufig misslingt und frustrierte und verängstigte Patienten hinterlässt. Eine Änderung würde bedeuten: Ich muss mich wirklich mit Menschen auseinandersetzen, mich ihnen nähern, unbewusste Anteile dabei berücksichtigen. Das will diese Medizin nicht, sie will (unbewusst) weg vom Menschen, weg vom Patienten, weil sie dessen persönliches Drama nicht aushält.”


Christian Schubert

Studium der Medizin und der Psychologie, Ausbildung zum Psychotherapeuten (psychodynamische Psychotherapie). Wissenschaftliche Assistenz am Univ.-Institut für Med. Chemie und Biochemie Innsbruck, Aufbau des Labors für Psychoneuroimmunologie (PNI) an der Univ.-Klinik für Med. Psychologie Innsbruck, Leiter der Arbeitsgruppe für Psychoneuroimmunologie des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin (DKPM).
http://www.christian-schubert.at/


Für meine Interviewreihe „Mach’s weghabe ich rund 50 Interviews mit verschiedensten Perspektiven auf das Thema Gesundheit geführt. Schließlich wussten schon unsere Großeltern: Das Wichtigste im Leben ist die Gesundheit. Aber was ist das überhaupt? Lässt sich Krankheit einfach „wegmachen“? Und wieso kümmern sich Menschen umeinander?


Laurens Dillmann: Was ist Ihr Beruf?

Christian Schubert: Ich habe Medizin und Psychologie studiert. Ich bin also Arzt und Psychologe. Nach meinen Studien habe ich begonnen, eine Ausbildung zum Labormediziner zu machen. Ich bin in die Forschung gegangen, ins Labor, wo ich an Zellen geforscht habe. Nach drei Jahren habe ich dann die Möglichkeit bekommen, ein Labor für Psychoneuroimmunologie aufzubauen. Da ist alles zusammengekommen. Meine medizinische und psychologische Grundausbildung und meine Laborerfahrung. In der Psychoneuroimmunologie laufen die Fäden zusammen. Außerdem bin ich dann Psychotherapeut geworden und bin heute klinisch hauptsächlich in diesem Bereich tätig.

In meiner psychoneuroimmunologischen Forschung versuche ich Menschen ganzheitlich, unter Berücksichtigung biologischer, psychologischer und sozialer Daten in ihrer Erkrankungsgeschichte zu verstehen. Ich möchte herausfinden, wie eine Krankheit in die Biographie eines Menschen eingebettet ist. Wann tritt sie auf, und welche Krankheit tritt auf? Ich begreife Krankheit als Ausdruck einer Konfliktgeschichte. Das bedeutet, Krankheiten eben nicht als Ärgernis zu sehen und durch Symptombekämpfung zu beseitigen, sondern Krankheiten ganzheitlich zu verstehen und zu behandeln. Dafür braucht es eine top-down-Herangehensweise. Top-down bedeutet, komplexere Lebensfaktoren wie soziale Beziehungen eines Menschen zu berücksichtigen – die sind es, die uns im besten Fall gesund halten, im Zweifel krank machen.

Wieso hat Sie neben der Medizin auch die Psyche des Menschen interessiert?

Woher das kommt? In der Kindheit und Jugend habe ich mich schon dafür interessiert, was in den Menschen so vorgeht. Ich hatte immer Interesse am unsichtbaren Psychischen. Letztlich sogar mehr als an der Medizin, die war eher eine Pflichtübung. Ich habe es immer als Kür empfunden, die Psychologie der Medizin hinzuzufügen. Der Grund: Das Medizinstudium ist zu mechanistisch ausgelegt. Angehende Mediziner beschäftigen sich viel mit stofflich ausgerichteten Einzeldisziplinen wie Physik, Chemie und Physiologie, zu wenig jedoch mit dem ganzen Menschen – mit dem Einfluss der Psyche, sozialer Beziehungen und Kultur auf Krankheits- und Heilungsprozesse. Es muss einem klar sein: Die herkömmliche Physiologie kann die Funktionsprinzipien des Menschen nicht erklären, wenn sie die Seele des Menschen ausklammert. Man weiß im Prinzip sehr viel über Labor-Experimente, am Tier und am Menschen. Daraus besteht das Lehrbuchwissen. Wirkliche Funktionalität im Alltag – wie funktioniert der Mensch in seinem Alltag? – darüber wissen wir äußerst wenig. Das Medizinstudium ist also ein sehr von der Lebensrealität abgewendetes Studium.

Das Psychologiestudium hat mir Freude gemacht, weil es mich geistig mehr anregte. Aber wenn man ehrlich ist, hat man es, wenn es um den Menschen geht, auch im Psychologiestudium zumeist mit Ergebnissen aus Experimenten zu tun. Was im Medizin- und im Psychologiestudium fehlt: Sich mit dem Menschen an sich auseinanderzusetzen, wie er leibt und lebt, im gelebten Alltag, unter „Life as it is Lived“-Bedingungen.

Was genau ist die Psychoneuroimmunologie und wie sieht Ihre Forschung in diesem Bereich aus?

Die Psychoneuroimmunologie, kurz PNI, erforscht die Wechselwirkungen zwischen psychischen Faktoren, Nerven-, Hormon- und Immunsystem. Sie untersucht also wissenschaftlich, wie unsere sozialen Beziehungen, Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen mit immunologischen Prozessen in Verbindung stehen.

Ich habe es mir mit der Art meiner Forschung in der Psychoneuroimmunologie nicht leichtgemacht. In den 25 Jahren, in denen ich nun wissenschaftlich tätig bin, habe ich ein spezielles Forschungsdesign, die integrative Einzelfallstudie entwickelt. Dieses Design integriert dynamische Komplexität und Bedeutungskomplexität, zwei essentielle Aspekte menschlichen Lebens, die in den herkömmlichen Forschungsansätzen der Schulmedizin völlig vernachlässigt werden. Mit dynamischer Komplexität meine ich die Analyse von Prozessen mit Hilfe der Zeitreihenanalyse. Und mit Bedeutungskomplexität das, was Ereignisse, die im Leben auftreten, wirklich wichtig und bedeutsam für die betroffene Person macht. Dies kann man nur im Interview erfassen und letztlich auch nur am Einzelfall. Als Reaktion darauf kommt von der Mainstream-Forschung häufig das Totschlagargument: „Man kann von Einzelfallergebnissen nicht auf die Allgemeinheit schließen.“ Das mag stimmen, aber man kann am Einzelfall höchst valide forschen und damit viel schneller verallgemeinern als man glaubt. Aber gut, das geht in die Methodenlehre, Statistik und Wissenschaftstheorie, und zu sehr ins Detail.

Mir geht es also nicht nur im klinischen Umgang mit Patienten, sondern auch in der Forschung um einen erweiterten, bio-psycho-sozialen Zugang zum Menschen. Meine Forschung war von Beginn an geprägt von einer Abkehr vom Goldstandard, quasi der heiligen Kuh der medizinischen und auch psychologischen Forschung: Der randomisierten kontrollierten Studie, kurz RCT für randomized controlled trial. Dieses Untersuchungsdesign ist in vielerlei Hinsicht unzureichend. Man forscht am Leben vorbei, ähnlich wie man in der alltäglichen Praxis diagnostisch und klinisch den Patienten oft nicht in seiner Gesamtheit begreift.

Der übliche Zugang zum Menschen ist von fundamentalen Erkenntnisirrtümern geprägt. Vom Mechanizismus, der Idee, dass Leben wie eine Maschine linearen Gesetzmäßigkeiten folgt, vom Dualismus, der Trennung von Psyche und Körper, vom Reduktionismus, der Suche nach den kleinsten Bauteilen des menschlichen Lebens und damit der Fixierung auf Genetik und Moleküle u.s.w. Man schaut vereinfacht gesagt, ob beim Menschen irgendwo eine Schraube locker ist. Es wird also bei der Frage, was einen Menschen gesundhält und wie ein Mensch krank geworden ist, von unten nach oben (bottom-up) gedacht und nicht von oben nach unten (top-down).

Ich habe in den letzten 25 Jahren mit der Entwicklung des integrativen Einzelfalldesigns eine Alternative auf die Beine gestellt, wie man Komplexität in der Ganzheitsmedizin erforschen könnte. Ich habe mich intuitiv von der „heiligen Kuh“ RCT-Design abgekehrt, und es war die richtige Richtung. Dabei konnte ich mich auch medizinphilosophisch-erkenntnistheoretisch ganz neu positionieren. Letztlich geht es nicht nur um eine Beziehungsmedizin, wie sie Pioniere wie George L. Engel und Thure von Uexküll so grandios konzeptualisierten, sondern auch um eine Beziehungsforschung.

Unsere westliche Medizin hat ein großes Problem mit Beziehung. Das kann man gut an der Arzt-Patient-Beziehung sehen, die häufig misslingt und frustrierte und verängstigte Patienten hinterlässt. Eine Änderung würde bedeuten: Ich muss mich wirklich mit Menschen auseinandersetzen, mich ihnen nähern, unbewusste Anteile dabei berücksichtigen. Das will diese Medizin nicht, sie will (unbewusst) weg vom Menschen, weg vom Patienten, weil sie dessen persönliches Drama nicht aushält. Aber dieses persönliche Lebensdrama des Patienten, seine tiefe Konfliktgeschichte, die sich im Hier und Jetzt in seinen wesentlichen Beziehungen musterartig wiederholt, ist wesentlich, wenn es um die Frage geht, was den Patienten krank macht und was ihn heilt.

Was für Qualitäten braucht ein Mensch, der sich um andere kümmert? 

Menschenliebe und Empathie fallen mir spontan ein. Das ist aber eine schwierige Frage, weil ich davon ausgehe, dass es wohl nur sehr wenige Menschen geben dürfte, die sich aus purem Altruismus um andere kümmern. Als Forscher treiben mich sicher auch nicht nur die Vision einer Entdeckung, der Wunsch nach Erkenntnis oder die Motivation, etwas für das Wohl anderer herauszufinden, an. Sicher spielt da auch Narzissmus eine Rolle, der Drang erfolgreich zu sein, mit seinem Schaffen Anerkennung zu bekommen, vielleicht sogar berühmt zu werden. Dasselbe gilt auch für die klinische Tätigkeit. Da gibt es psychische Faktoren, die nicht nur im Sinne des Patienten sind. Narzissmus, Macht, Überfürsorge und Schuld sind alles Qualitäten, die mit dem Kümmern um andere zunächst einmal weniger zu tun haben, ja sogar das Gegenteil bewirken können. Die Motivation, die sich hinter dem „Kümmern“ verbirgt, ist hochindividuell und ich bezweifle, dass man einen Heilberuf auf eine bestimmte Persönlichkeit verallgemeinern kann.

Ich würde mir daher als Patient einen Arzt als Begleiter wünschen, der Selbsterfahrung mitbringt, der am besten selbst eine Psychotherapie gemacht hat. Der in Auseinandersetzung mit sich selbst gegangen ist. Das ist die valideste und angemessenste Form, sich selbst kennenzulernen – in Spiegelung mit einem Psychotherapeuten, mit jemandem, der im „Lesen“ und „Übersetzen“ meiner Person und in der Rückmeldung an mich Profi ist. Wenn man das gemacht hat, kann das so manche “Nebenwirkungen” des Kümmerns um Andere sicherlich abschwächen. Ich war selbst lange in psychoanalytischer Selbsterfahrung und stehe mir daher mein Leben lang in konstruktiver und nachsichtiger Form selbstkritisch gegenüber. Mich interessiert meine Forschung. Ich glaube, ich entwickle etwas, das für alle gut ist. Ich arbeite an einer Sache, von deren Richtigkeit ich überzeugt bin und ich möchte, dass sie mehr Verbreitung bekommt. Für die Patienten, mit denen ich arbeite, kann ich sagen: Meine Arbeit macht mir Freude. Es macht mir Freude, anderen Menschen zu helfen. Aber wie gesagt, es gibt eben auch weitere Beweggründe für das, was ich mache, und diese versuche ich immer auch im Blick zu behalten.

Wie sieht diese „neue Medizin“ aus, von der Sie in Ihrem Buch schreiben?

Was wir in klinischer Medizin und medizinischer Forschung brauchen, ist ein ganzheitliches Menschenbild. Ein Menschenbild, das dynamische Komplexität und Bedeutungskomplexität als ihre festen Grundpfeiler hat. Der Mensch ist nicht linear, sondern besteht in der Wechselwirkung mit seiner Umgebung aus höchst komplexen Funktionsprinzipien. Dazu kommt ein tieferer Aspekt der Psychologie und unseres Seins, nämlich das Unbewusste. Wenn die Medizin sich nicht mit dem Unbewussten auseinandersetzt, grenzt sie letztlich Psychisches aus und bleibt lebensfern – und kommt damit auch nicht aus ihrer maschinenparadigmatischen Ideologie heraus.

In diesem Zusammenhang ist für mich die COVID-19-Geschichte so wichtig. Hier habe ich den Eindruck, wie vor dem Fußballtor zu stehen und nur mehr einnetzen zu müssen. Ich habe 25 Jahre darauf hingearbeitet, dass mir dieser Ball zugespielt wird. Corona deckt auf, Corona deckt eine Medizin auf, die, was den Umgang mit menschlichem Leben betrifft, sehr zu kritisieren ist. Die COVID19-Krise ist eine Krise der gesamten westlichen Medizin.

Medizin, Regierungen und Medien machen bei der Bekämpfung der Pandemie Fehler in allen Bereichen, die man sich nur vorstellen kann. Da ist die von Beginn an fast ausschließliche Konzentration auf das Virus, welches zum Killervirus hochstilisiert wurde. Dann die Vernachlässigung des Wirts, also des Immunsystems, zumindest, was die Eindämmung der Pandemie betrifft. Hier wurden fast nur jene Maßnahmen empfohlen, die auf die Kontaktvermeidung mit dem Virus abzielten. Und schließlich gibt es aktuell nur eine Möglichkeit, die Pandemie beenden zu können, nämlich die Impfung von allen Menschen – ob jung oder alt, ob gesund oder krank, ob schon einmal an COVID erkrankt gewesen oder nicht. Eine wissenschaftliche und klinische Katastrophe!

Das Virus ist doch viel mehr als nur ein Stoff. Es ist rasch zu einem Symbol für Krankheit und Tod geworden, das viel Angst verbreitet. Und Angst wiederum schwächt das Immunsystem. Die Schlüsselbotschaft ist aber: Das Immunsystem des Menschen ist der wichtigste Player, wenn es darum geht, das Virus in den Griff zu bekommen.

Wie lässt sich das Immunsystem stärken und wieso erfahren wir medial so wenig darüber?

Das Immunsystem lässt sich stärken, durch soziale Integration und Unterstützung, durch gesunde Ernährung, Bewegung und Spiritualität. Vieles davon wurde im Lockdown weitgehend verhindert. Warum? Weil sich Virologen, deren medizinisches Wissen sich hauptsächlich auf Laborerkenntnisse stützt, aus ihren Laboratorien in die gelebte Welt begaben und öffentlich darüber sinnierten, wie sich Menschen am besten in der Pandemie zu verhalten haben. Diese Mediziner haben aber nur sehr wenig Ahnung davon, was der Mensch ganzheitlich benötigt, um in einer Pandemie gesund zu bleiben, also sich nicht zu infizieren, an SARS-CoV-2 zu erkranken und zu sterben. Gelebten Reduktionismus und Dualismus nennt man so etwas. In Pandemiezeiten fatal, wie man sieht. Dass diesen Medizinern dann auch nichts anderes übrig bleibt, um auf Teufel komm raus die Impfung als Allheilmittel zu propagieren, liegt auf der Hand – für Maschinenmediziner ist die technische Lösung des Problems die einzig denkbare.

Man könnte derzeit den Eindruck gewinnen, als ob Medizin, Regierungen und Medien alle Mittel recht sind, um selbst die Kleinsten und Schwächsten der Gesellschaft gegen Corona impfen zu können. Durch Angst- und Panikmache und den Entzug von Freiheit lässt sich die Bevölkerung abhängig und gefügig machen, um sie dann nach Belieben vor sich herzutreiben. Auch das deckt Corona auf: Weite Teile der Bevölkerung sind viel zu passiv und lassen sich viel leichter formen als man das je gedacht hätte. Wir sind in beunruhigenden Zeiten und müssen wachsam bleiben. Dazu gehört auch, endlich mehr Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen.

Wie bekommt man diese Information unter die Menschen? Wie verändern wir diese Situation?

Wenn man jetzt aber den Mund aufmacht, wird man schnell ins rechte Eck gestellt und als Reichsbürger, Verschwörungstheoretiker und Corona-Leugner diffamiert. Das ist interessant, denn eigentlich müsste es doch das größte Thema der Deutschen sein, sich mit ihrer Vergangenheit kritisch auseinanderzusetzen und sie tiefgehend zu bewältigen. Ich sehe es als gezielte Verharmlosung der düsteren Deutsch-Österreichischen Vergangenheit, nun Anders- oder Querdenkende als rechtsextrem zu bezeichnen. In Amerika verteufelt man die Linken, wenn die ideologischen Grundwerte bedroht werden, hier sind es eben die Rechten. In diesem Zusammenhang nehme ich besonders auch die Leitmedien in die Verantwortung, die seit Monaten ein politisches Framing betreiben und eine gefährliche Spaltung der Gesellschaft vorantreiben.

Wir verändern die allgemeine Ansicht der Bevölkerung zur COVID-19-Krise nur, wenn wir derzeit etwas riskieren und laut aussprechen, was wir denken. Es ist nicht leicht in diesen Zeiten aufzustehen und zu sagen: Was hier läuft, ist völlig verkehrt. Haben Sie selbst denn den Eindruck, dass diese COVID-Geschichte eine gute Richtung nimmt? Im Sinne einer reflektiven Auseinandersetzung von allen Seiten? Ich sehe das nicht.

Ich sehe zunehmend Menschen, die durch Panikmache verängstigt wurden und vieles einfach in Kauf nehmen, um wieder zur alten Normalität zurückkehren zu können. Auch wenn Kritik lauter und lauter wird: Es wird von Regierungsseite einfach weitergemacht. Die Politik scheint sich genau mit den Beratergremien und wissenschaftlichen Experten umgeben zu haben, die ihr nach dem Mund redet. Machtdemonstration und Freiheitsberaubung sind in einem unglaublichen Ausmaß angewachsen. Das ist keine Demokratie mehr, in der wir leben. Ausnahmesituation hin oder her.

Es wird schwer werden, es wieder in eine andere Richtung zu lenken. Ich versuche neben dem Schreiben von Artikeln, insbesondere in Interviews mit öffentlichen Medien für die psychoneuroimmunologischen Zusammenhänge zu sensibilisieren und über psychische und soziale Folgen der Maßnahmen aufzuklären. Wir sind derzeit in einer unglaublichen soziokulturellen Umbruchphase mit ungewissem Ausgang, was Demokratie, Freiheit und Menschenrechte betrifft. Ich vermute, dass es lange dauern wird, bis wir wirklich frei leben werden können.

Die Corona-Krise deckt für mich auch auf, dass wir es mit einer Krise des Menschenbildes zu tun haben. Wie sehen Sie das?

Ja, da gebe ich Ihnen recht. Der Aufbruch hat begonnen und wir bewegen uns langsam heraus aus unserer kapitalistisch-neoliberalen Lethargie, wo Konsum wie eine betäubende Droge für das Wesentliche im Leben wirkt. Corona deckt aber eben auch auf, dass es einen leider recht geringen Prozentsatz gibt – vielleicht 10 % der Menschen, mit Dunkelziffer etwas mehr – die in der COVID-19-Krise eine Krise der Gesellschaft und der Art und Weise erkennen, wie der Mensch mit sich und seiner sozialen wie natürlichen Umwelt umgeht. Die sich für Freiheit und Grundrechte einsetzen, andere, menschlichere Lebensformen wollen und die in einer anderen, gerechteren Welt leben möchten. Die dafür auch einiges Geld hergeben würden, wenn diese Werte umgesetzt würden. Doch von diesen Menschen gibt es eben verhältnismäßig wenige und sie werden oft in Ecken gestellt, wo sie nicht hingehören.

Demgegenüber gibt es auch – nach dem Psychiater Hans Joachim Maaz – eine große Masse an traumatisierten, neurotischen und bindungsunsicheren Menschen. Menschen mit geringem Selbstwert und gesteigerter Lebensunsicherheit, mit Depressionen, Angsterkrankungen und Persönlichkeitsstörungen. Diese Masse ist in den letzten Jahrzehnten stark angewachsen: Beziehungslosigkeit, Entfremdung, Kapitalismus, all das hat in der Tiefenstruktur unser Gesellschaft viel Schlimmes angerichtet. Jetzt können all diese Menschen ihre Ängste auf ein Virus projizieren. Sie müssen sich nicht mehr mit sich selbst auseinandersetzen. Das ist eine Katastrophe. Wie kriegt man diese Leute zurück in die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Konfliktgeschichte und Traumatisierung? Keiner wird das freiwillig tun wollen. Die sind unbewusst froh, dass sie alle ihre Ängste auf das Killer-Virus projizieren können.

Kann die Krise nicht – wie eine Krankheit auch – dazu führen, dass wir gestärkt aus ihr hervorgehen?

Ich freue mich über Ihren Optimismus. Ich wünsche mir auch Frieden und glaube, dass das Leben wert– und sinn-voll ist. Ich will auch nicht im Hamsterrad des Kapitalismus verglühen. Dafür kämpfe ich. Aber haben Sie nicht Sorge, dass Sie durch Ihre Fragen in ein Eck gestellt werden, wo sich Menschen befinden, die für die Gesellschaft gefährlich sind? Das ist das Narrativ, das zur Zeit aufgebaut wird: Wenn Sie sich gegen die Maßnahmen der Medizin und der Regierung wenden, sind Sie unsolidarisch und werden als Volksschädling gesehen, der potenziell bereit wäre, andere Menschen umzubringen. Sie werden als anti-human und als böser Mensch hingestellt, gegen den man mit Gewalt vorzugehen hat und den man ausschalten muss.

Aber dieser Vorwurf entspricht ja nicht der Realität. Ich mache diese Reihe aus Neugier, und weil ich in Freiheit leben möchte. 

Mir gefällt gut, was Sie sagen. Das geht auch in die Richtung: Leben will leben. Man kriegt das Leben nicht in einen Käfig gesperrt. Es windet sich heraus, weil es leben will.

 

Foto-Credit: Christian Schubert 

Online: http://www.christian-schubert.at/

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2 Gedanken zu “Psychoneuroimmunologie und die Abkehr von der heiligen Kuh – mit Univ.-Prof. Dr. Dr. Christian Schubert”

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