“Leider ist die Erklärung für diesen Zustand wirklich so einfach. Komplexe menschliche Themen wie Gesundheit und Krankheit werden in Standardmodelle gepresst. Zum Beispiel eine Depression kann sich auf zig verschiedene Arten und Weisen äußern. Das Menschliche ist eigentlich völlig komplex, heterogen und divers. Das betriebswirtschaftliche Denken erzwingt aber, all das runterzukochen auf Modelle, mit denen Betriebswirte, Buchhalter, Accountant-Controller arbeiten können. Weil das die DNA ist, nach der unsere Institutionen jetzt funktionieren.”


Stephan Schleim

Stephan Schleim ist Assoziierter Professor für Theoretische Psychologie an der Universität Groningen und Autor verschiedener Bücher über Philosophie, Psychologie und Neurowissenschaften. Außerdem führte er mehrere Forschungsprojekte über die Theorie und Ethik der Neurowissenschaften aus. Schwerpunkt seiner Forschung sind die Bedingungen, unter denen wissenschaftliches Wissen produziert und in die Öffentlichkeit kommuniziert wird.
http://www.schleim.info/wordpress/de/


Für meine Interviewreihe „Mach’s weghabe ich rund 50 Interviews mit verschiedensten Perspektiven auf das Thema Gesundheit geführt. Schließlich wussten schon unsere Großeltern: Das Wichtigste im Leben ist die Gesundheit. Aber was ist das überhaupt? Lässt sich Krankheit einfach „wegmachen“? Und wieso kümmern sich Menschen umeinander?


Laurens Dillmann: Was ist der Inhalt Ihrer Arbeit? 

Stephan Schleim: Von meiner Ausbildung her bin ich Philosoph. Ich habe aber auch Psychologie und Informatik studiert. Ich habe meine Magisterarbeit über das Leib-Seele-Problem geschrieben, in der es um die Frage ging, wie Körper und Geist zusammenhängen. Ich fand dann für mich heraus, dass die Philosophie sich zu viel mit Definitionen beschäftigt und wollte etwas Praktisches machen. 2005 war die Hirnforschung sehr stark am Boomen, die bildgebenden Verfahren, die großen Magnetresonanztomographen. Ich habe an der Uni-Klinik- Frankfurt und dann an der Uni-Klinik in Bonn gearbeitet und geforscht. Viele Jahre später kam der Glücksfall, dass in Groningen jemand gesucht wurde, der sich philosophisch mit der Hirnforschung auseinandersetzt. 

Das ist das Schöne an meiner Arbeit. Als assoziierter Professor kann ich meine Themen im Prinzip selbst festlegen. Was mich immer am meisten interessiert hat: Dass fast alles in gewisser Weise eine Sprachpraxis ist. Dass für uns Menschen Kommunikation in allen Bereichen zentral ist. Und eben auch in der Wissenschaft. Dafür haben aber viele Wissenschaftler nicht so viel Aufmerksamkeit. Sie denken nicht darüber nach, dass unsere Forschung auch damit zusammenhängt, was für Begriffe wir definieren. Die Definitionen, Gedanken und Theorien im Hintergrund beeinflussen ganz stark das experimentelle Handeln und auch die Ergebnisse. Auch wie sie anschließend wissenschaftlich interpretiert werden.

Thomas Kuhn, einer der bedeutendsten Soziologen und Wissenschaftsphilosophen des 20. Jahrhunderts, hat den Paradigmenbegriff geprägt. Er hat erklärt, dass die Wissenschaft in Paradigmen hineinwächst. Dass es bestimmte Grundvoraussetzungen, Annahmen, Methoden und Instrumente gibt, mit denen man Probleme lösen will. Innerhalb dieses Paradigmas werden diese Annahmen in der Regel nicht mehr hinterfragt. Es sei denn, es kommt zu einer Krise. Dann entsteht ein neues Paradigma und es geht wieder von vorne los.

Als Philosoph versuche ich daher von außen zu schauen. Was machen die Leute eigentlich? Ein Bereich meiner Forschung ist die Psyche. In einem anderen geht es um die Neurowissenschaften und das Recht. Solche Fragen diskutiere ich: Warum ist es eigentlich so schwer, den Menschen neurobiologisch zu erklären? Warum gibt es ein herrschendes Paradigma seit den 80er Jahren, in dem es darum geht, die Probleme, die die Menschen haben, auf Gehirnprobleme zu reduzieren? Auch das medizinische Modell, über das Sie sprechen möchten, basiert natürlich auf einem Paradigma.

Was fasziniert Sie?

Ich nehme am liebsten verschiedene Perspektiven auf den Menschen ein. Mein nächstes Buch heißt: „Gehirn, Psyche und Gesellschaft.“ Das ist eine Sammlung meiner 33 besten Blogbeiträge. Ich suche Antwort auf die schon lange von der Anthropologie gestellte Frage „Was ist der Mensch eigentlich?“ Interessanterweise entzieht sich der Mensch klaren Antworten. Wie wir alle mittlerweile wissen, gibt es menschliche Kulturen, die wir gar nicht kennen und auch nicht wirklich verstehen, wenn wir nicht dort aufwachsen. Ich will wissen, was den Menschen im Innersten antreibt. Was unsere Motivationen sind. Mich beschäftigt zur Zeit die Frage, ob es sowas gibt, wie den Wesenskern des Menschen. Weil damit zum Beispiel auch unser Substanzen- und Drogenkonsum zusammenhängt.

Es ist doch interessant, dass eine Disziplin wie die Wissenschaft auf solche essentiellen Fragen – auch die Psychologie, die eigentlich dem Namen nach die Lehre der Seele ist – keine Antworten hat. Es gibt immer wieder mal, meistens ältere Psychologieprofessoren, die sich gegen Ende ihrer Laufbahn mit diesen großen Fragen beschäftigten. Aber im wesentlichen wird an der universitären-akademischen Forschung so etwas gar nicht mehr gemacht.

Mir würde es sehr gefallen, wenn ich irgendwann eine verbindende Brücke zwischen der akademischen Welt und der Lebenswelt bauen könnte. In der indischen und asiatischen Philosophie ist es übrigens anders: Man hat nicht das Subjektive von dem getrennt, was man für objektiv hält. Die experimentelle Psychologie hat im 20ten Jahrhundert sehr stark die Physik imitieren wollen, die natürlich eine sehr erfolgreiche Wissenschaft ist, aber sie hat dabei übersehen, dass der Mensch etwas anderes ist als Atome, Quarks oder Energiewellen.

Mich fasziniert also auch historisch zu schauen: Was gab es schon für andere philosophische Ansätze? Die vielleicht in Vergessenheit geraten sind, aber doch einen wahren Kern haben, wie etwa die Idee der Ganzheitlichkeit. Was gibt es für Antworten aus anderen Kulturen, die wir gar nicht so auf dem Radar haben? Der Zusammenhang zwischen Körper und Geist aus meiner Magisterarbeit ist auch eine ganz wesentliche Frage, die sich durch die ganze Geschichte der abendländischen Philosophie zieht. 

Was bedeutet Gesundheit für Sie?

Ein guter Ansatz ist die Frage: Was sind denn eigentlich die Ziele oder Wünsche, die man im Leben erreichen möchte? Wenn man dem im Großen und Ganzen nachgehen kann, ist das eine Form von Gesundheit. Das ist ein Gesundheitsbegriff, der schonmal von Nietzsche geprägt wurde und sich auch durch die Philosophiegeschichte zieht, sogar bis in die mittelalterliche Philosophie. Also: Solange ich tun kann, was ich will, geht es mir eigentlich gut.

Ich würde sagen, ein gesunder Mensch ist ein Mensch, der seine Ziele verfolgen kann. Dazu gehören körperliche und psychische Eigenschaften wie ein funktionsfähiger Körper. Wenn ich Schriftsteller bin, könnte ich eventuell querschnittsgelähmt sein und trotzdem meine Bücher schreiben. Vielleicht würde ich die Lähmung dadurch nicht als so schlimm erfahren wie ein Skilangläufer, der seinen Beruf nicht mehr ausüben kann. Ich habe als 20-Jähriger ein Jahr lang einen querschnittsgelähmten Mann betreut, das Thema ist gar nicht so abstrakt für mich.

Für einen Heilungsprozess ist die Herausforderung: Kann man in so einer neuen Situation, in der auch Mediziner nicht helfen können, seinem eigenen Leben trotzdem Sinn geben und es sinnvoll gestalten? Vielleicht ist die Heilung in dem Sinne nicht möglich, dass der Körper wieder vollständig funktioniert, aber man kann trotzdem sein Leben sinnvoll gestalten. Ich glaube, darum geht es. Was will ich machen aus den Möglichkeiten, die ich habe? Selbst, wenn mir Grenzen gesetzt sind.

Was verstehen Sie unter einer gesunden Psyche?

Eine gesunde Psyche kann für Sie etwas ganz anderes bedeuten wie für mich. Oder für einen Hochleistungsathleten. Ich rede eigentlich gar nicht so gerne von der Psyche. Da trennen wir schon wieder Körper und Geist. Ich will darauf hinaus, dass Körper, Psyche, Geist, Gehirn eigentlich gar keine getrennten Domänen sind. Sobald wir all das begrifflich voneinander trennen, haben wir ganz große Probleme, dass wir am Ende davon nichts mehr zusammenfügen können.

Ich bin ja auch zertifizierter Yoga-Lehrer und übe seit 20 Jahren Meditation, mal mehr, mal weniger. In der Philosophie und in der Wissenschaft herrscht oft ein starker Reduktionismus: Psychische Prozesse wie zum Beispiel Gedanken und Gefühle sind nichts anderes als Gehirnprozesse. Irgendwann habe ich es umgedreht und gesagt: Körper ist Geist. Es ist doch ein Wunder, dass der Körper solche Wahrnehmungen in die Welt bringen kann. Vielleicht sind wir also ein Körper-Geist-Ganzes, das wir lediglich mit Worten zu beschreiben versuchen. Hier ist auch die Wichtigkeit unserer Sprache zu bedenken.

Was halten Sie von der “Mach`s weg”-Mentalität?

Das ist ein Grund meiner Kritik. Wenn man das rein biologische Modell bis zum Ende vertritt, sagt man im Prinzip, dass eine Depression lediglich eine Gehirnstörung ist. Die im übrigen nie als solche festgestellt werden konnte und im Gehirn auch nicht diagnostiziert wird. Das finde ich immer wieder erstaunlich. Dass so viele daran glauben und man kann es einfach nicht nachmessen. Und doch wird daran geglaubt und demnach behandelt. Wenn man so biologisch denkt, geht diese Dimension verloren: Was will ich mit meinem Leben machen? Dann sitzt man den ganzen Tag zuhause und wartet auf die neuste Wunderpille. Die aber seit Jahrzehnten nicht kommt. Da verliert man sicher die Möglichkeiten aus den Augen, die man selbst hat.

Orientiert sich unser Gesundheitswesen noch am Menschen?

Nein. Das Grundproblem ist einfach das betriebswirtschaftliche Menschenbild. Das Menschenbild, das alle Leistungen messen, quantifizierbar machen und in Geld übersetzen will. Das Fallpauschalen-System – behandelt wird nicht nach Notwendigkeit, sondern nach Profitabilität – ist nur ein Symptom dieses grundlegend falschen Menschenbildes. Wir haben es nicht nur in der Wirtschaft, sondern eben auch in der Medizin, in der Justiz, in der Bildung, überall.

Seit den 80er und 90er Jahren ist das das vorherrschende Modell, auch in der Politik. Bei allen Gesetzen, die verabschiedet werden, lässt man dieses Modell darauf los. Man will alles effizienter und kostengünstig machen, alles soll standardisiert werden. Insofern ist es auch relativ unwesentlich, welche Partei die Mehrheit hat. Weil sie alle mehr oder weniger dieses Denken verkörpern. Deswegen sehen wir auch so wenig wesentliche Veränderungen.

Da fragt man zum Beispiel: Was für eine Behandlung ist bei einer Depression nötig? Wie lange dauert das? Was kostet das? Dann gibt es Experten, die dazu eine Meinung haben und sich auf eine Norm einigen. Und diese wird über Regulierungen für alle verbindlich gemacht. Wenn dann gleichzeitig auch noch alle Kliniken, Ärzte, Ärztinnen, Psychotherapeuten gewinnorientiert arbeiten müssen, was ja zunehmend der Fall ist, muss es zwangsläufig darauf hinauslaufen, die Patienten noch schneller zu behandeln, als die Pauschalen es vorsehen. Dann kann man seine Gewinne maximieren und nicht nur kostendeckend arbeiten. Und so ist jedes zwischenmenschliche Gespräch ein Verlust, den es zu vermeiden gilt. Wenn man so denkt, wird man eben im wesentlichen Hüften operieren, weil das am lukrativsten ist. Ob es im Einzelfall sinnvoll ist oder nicht.

Leider ist die Erklärung für diesen Zustand wirklich so einfach. Komplexe menschliche Themen wie Gesundheit und Krankheit werden in Standardmodelle gepresst. Zum Beispiel eine Depression kann sich aber auf zig verschiedene Arten und Weisen äußern. Das Menschliche ist eigentlich völlig komplex, heterogen und divers. Das betriebswirtschaftliche Denken erzwingt aber, all das runterzukochen auf Modelle, mit denen Betriebswirte, Buchhalter, Accountant-Controller arbeiten können. Weil das die DNA ist, nach der unsere Institutionen jetzt funktionieren.

Ein Beispiel: Ich habe ja auch in zwei Unikliniken in Deutschland gearbeitet und geforscht. Da gibt es nicht nur den ärztlichen Direktor, einen Mediziner, sondern auch einen Geschäftsführer, den betriebswirtschaftlichen Direktor. Und der hat im Endeffekt das letzte Wort. Weil der darauf achten muss, dass die Klinik wirtschaftlich funktioniert. Und das war nicht immer so. Das hat die Politik eingeführt. So kann man Menschen eigentlich gar nicht vorwerfen, dass sie ihren Idealismus, aus dem sie in Pflege- oder Heilberufe gehen, irgendwann nicht mehr ausleben können, weil sie im Burnout landen. Und natürlich kann man Menschen auch nicht vorwerfen, dass sie Geld verdienen wollen. Sie und ich, wir müssen auch unsere Rechnungen bezahlen.

Wie kann man sich als Mensch gegenüber diesen maschinenartigen Systemen verhalten?

Ich habe vor einigen Jahren bereits einen Essay darüber geschrieben. Wenn ich für meine Studierenden lehre, versuche ich schon, in gewisser Weise neutral mein Fach zu vertreten und nicht zu sehr meine eigene Meinung durchscheinen zu lassen. Dann kamen aber immer wieder Fragen, was denn meine eigene Sichtweise ist. Also schrieb ich die auf.

Um es verständlicher zu machen: Ich habe den Essay zurückgeführt auf den Streit zwischen Erfolg und Authentizität. Erfolg wird eher von der Gesellschaft in Form einer Erwartung an uns herangetragen: Du musst jetzt erfolgreicher Politiker, Psychologe, Schriftsteller, Journalist, was auch immer sein. Also Erfolgs- und Optimierungsdenken. Authentizität ist eher etwas wie: Was sind denn meine Überzeugungen, meine Wünsche, meine Werte? Das habe ich als zwei Achsen dargestellt. Die beiden müssen sich nicht widersprechen. Wenn man seine Werte lebt und ihnen treu bleibt kann man auch erfolgreich sein. Es gibt vier Möglichkeiten, zwei mal zwei. Die Schönste ist, wenn man erfolgreich ist und dabei authentisch bleibt. Und die Schlimmste ist, wenn man scheitert und dabei völlig unauthentisch ist. Zum Beispiel ein Betrüger, wie ein Athlet, der des Dopings überführt wird.

Als Individuum kann man sich fragen: Was wird von mir erwartet? Wird von mir als Arzt erwartet, dass ich nur noch drei Minuten mit meinen Patienten spreche? Wird von mir als Journalist erwartet, dass ich nur noch Artikel schreibe, die möglichst hohe Klickzahlen generieren? Und dann kann man sich fragen, wie man sich gegenüber diesen Erwartungen verhält. Eventuell macht man dann viele Überstunden, um seinen idealen treu zu bleiben. Man kann sich immer wieder bewusst machen: Wie weit will ich gehen, um meine Ziele zu erreichen? Und sind das wirklich meine Ziele? Was mir zum Beispiel auffällt: Wenn man einfach mal Nein sagt, dreht sich die Welt trotzdem weiter. Früher wäre mir das unmöglich gewesen. Wenn viel mehr Menschen bewusst Nein sagen könnten, würde sich vielleicht auch das System wieder an uns anpassen. Dann würde es ehrlicher und korrekter werden.

Man muss also reflektieren und sich in gewisser Weise distanzieren von diesen Erwartungen. Das System funktioniert auch, weil wir mitspielen. Wenn eine gewisse Anzahl von Menschen nicht mehr mitspielen würde, müsste sich auch das System ändern. Wenn Ärzte, Pfleger UND Patienten sagen würden: “Bis hierhin und nicht weiter!“, könnte sich etwas ändern. Für mich ist es wirklich ein großes Rätsel, warum so viele Ärzte gegen dieses so offensichtlich kranke System nicht aufbegehren. In einer Demokratie müsste das doch eigentlich nicht so sein. Formal könnten wir Bürgerinnen und Bürger uns darüber verständigen, die Gesellschaft anders einzurichten. Es wird nur sehr wenig getan. Ich glaube, ein Problem ist, dass viele von uns so gestresst sind, dass sie gar keine persönlichen Ressourcen mehr haben. Viele können einfach nicht mehr, die schalten einfach ab sobald es um Probleme geht. Deshalb geht es immer so weiter. Bis es vielleicht irgendwann richtig crasht. Und dann wird es auch wieder besser werden.

Was für ein Resümee werden wir Ende 2020 über dieses Jahr ziehen?

Wissen Sie, das Komische ist: Mein Essay, den ich vorhin erwähnt habe, spielt mit der Idee. Was ist, wenn Außerirdische auf unsere Welt kommen und verstehen wollen, was wir Menschen eigentlich alltäglich so machen? Ich habe ganz alltägliche Tätigkeiten beschrieben. Der Weg zur Arbeit, der Lebensverdienst. Das ist natürlich eine literarische Figur, die zum Reflektieren einladen soll. Was machen wir eigentlich den ganzen Tag, sowohl individuell als auch als Gesellschaft?

Corona zeigt uns, dass wir die Außerirdischen eigentlich gar nicht brauchen. Ich sehe es auch als eine Chance. Diese Situation, die uns ganz deutlich macht, dass wir auf ganz viel verzichten können von dem wir noch bis März dachten, es wäre unmöglich. Wir können auch anders leben, wir können von Zuhause arbeiten, wir brauchen keine ständigen Fernreisen. Wir haben am eigenen Leib erfahren, dass weniger manchmal mehr ist.

Ich habe keine Glaskugel. Ich würde mir wünschen, dass wir am Ende dieser Krise zurückschauen und bemerken, dass vieles, das wir uns als sehr schlimm ausgemalt haben, vielleicht gar nicht so schlimm ist. Dass es Alternativen gibt, dass wir anders leben können, dass uns auch die Computertechnologien dabei helfen. Und dass es ein guter Ansatz wäre, sich ethische Fragen darüber zu stellen, was wir den lieben langen Tag so tun. Dass Menschen auch andere Tätigkeiten ausüben können als nur vorm Fernseher zu sitzen. Sich fortbilden, Fähigkeiten erlernen, Kunst zu machen, aktiv in Gemeinschaft zu sein. Mit den Nachbarn, mit alten Leuten im Altersheim. Es gibt so viele Möglichkeiten, nach denen man sein Leben ausrichten kann, in denen es nicht nur um Profit geht. Das Schlimme ist ja gar nicht der Profit, sondern die Profitmaximierung. Dass es jedes Jahr mehr und mehr und mehr sein muss. Dass es nie weniger sein darf. Was uns alle früher oder später in den Burnout treibt.

Das wünsche ich mir, dass wir zurückschauen und sehen, dass diese außerordentliche Situation einen Weg aufzeigt, zu mehr Zufriedenheit zu gelangen. Das würde nämlich viele gesundheitliche Probleme – vor allem psychischer Natur – reduzieren oder sogar im Ansatz beheben. Unser Konsum ist ja auch eine Art von Stressbewältigung. Die Tüte Chips mehr als sonst, die Flasche Bier mehr als sonst. Die große Frage: Wie geht man mit Stress um? Man sollte Stress gar nicht managen müssen, sondern ihn einfach vermeiden, vorbeugen, reduzieren. Auch wenn diese Corona-Zeit für viele Menschen viel Angst und Stress bedeutet, wünsche ich mir, dass diese Erfahrung dazu führt, dass wir als Gesellschaft letztlich langfristig gesünder leben werden. Weil wir ein realistischeres Bild von dem bekommen haben, was wirklich notwendig ist.

Foto-Credit: Elsbeth Hoekstra

Online: http://www.schleim.info/wordpress/de/

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