„Letzten Endes geht es darum, uns unserer Natur entsprechend zu verhalten. In dem Umfeld, das wir uns in den letzten Jahrzehnten gestaltet haben, gibt es so viele Faktoren, die weit weg von artgerecht sind. Unser Geist und unsere Arbeitsspeicher reichen nicht aus für die vielen Informationen, die es zu verarbeiten gibt. Darunter leidet der Geist und später auch der Körper. Deswegen: Raus in die Natur.“


Sven Besch

Ursprünglich Physiotherapeut, später Osteopath und Heilpraktiker. Teilstudium für Humanbiologie, Aus- und Weiterbildungen über Faszien und klinischer Psycho-Neuro-Immunologie. Arbeitet in Gemeinschaftspraxis „Osteopathie am Römer“ in Frankfurt am Main. 2018 Ausbildung zum Natur- und Wanderreiseleiter. Seit 2019 bietet er für seine Patienten auch Gesundheitswandern an.
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Für meine Interviewreihe „Mach’s weghabe ich rund 50 Interviews mit verschiedensten Perspektiven auf das Thema Gesundheit geführt. Schließlich wussten schon unsere Großeltern: Das Wichtigste im Leben ist die Gesundheit. Aber was ist das überhaupt? Lässt sich Krankheit einfach „wegmachen“? Und wieso kümmern sich Menschen umeinander?


Laurens Dillmann: Wie verlief dein beruflicher Werdegang?

Sven Besch: Ursprünglich bin ich Physiotherapeut. Darauf hat mich eine MS-kranke Frau während meines Zivildienstes gebracht. Die habe ich sehr intensiv betreut. Nachtbetreuung, gemeinsames Abendessen und Frühstück. Ich habe sie morgens nach ihrer Anleitung immer durchbewegt, um die Gelenke weich zu kriegen. Sie war sehr daran interessiert, was der kleine Zivi damals mal werden sollte. Viel mehr, als ich selbst. Nach vielen Gesprächen sagte sie: „Herr Besch, wie wäre es, wenn sie Physiotherapeut werden würden? Das könnte ich mir total gut vorstellen.“

Also habe ich mich beworben und bin genommen worden. In dieser Zeit, 1993 zirka, wurde die Osteopathie in Deutschland bekannter. Mir war klar, das muss ich machen. Noch während meiner Physiotherapieausbildung habe ich mit der fünfjährigen Osteopathie-Ausbildung angefangen. Währenddessen habe ich bereits in einer Klinik als Physiotherapeut gearbeitet. Dann kam mir die Idee, Humanbiologie in Marburg zu studieren um mich noch weiter in den physiologischen Funktionsweisen der menschlichen Biologie zu bilden. Da das Arbeitsfeld eines Humanbiologen allerdings eher im Labor als am Patienten stattfindet, blieb es beim Vorstudium, das war viel zu theoretisch. Ein bisschen handwerklich musste es schon sein. Die Zeit dort in Marburg hat aber viel für mein Verständnis des Körpers gebracht, weil ich die universitären Einrichtungen, speziell die Anatomie, nutzen konnte. Es gab freies Präparieren, ich konnte zu jeder Tag- und Nachtzeit an „meine” Leiche und dort “werkeln”. 

Dann war ich also plötzlich Osteopath und fand das ziemlich cool. 2003 habe ich meine erste eigene Praxis aufgemacht, aus der mich das Bauamt mit den Worten „Das ist aber ein Lagerraum, kein Gewerberaum“ nach vier Jahren rausgeschmissen hat. 2007 haben wir dann gemeinsam die Praxis hier am Römer aufgemacht. Und seitdem ist ganz viel passiert. Meine Oma fragt mich heute noch, wann ich denn fertig mit meiner Ausbildung bin, weil ich ständig neue Sachen mache. Das ist nicht ganz unüblich in meiner Branche.


Was genau macht ein Osteopath?

Ein Osteopath arbeitet manuell mit den Händen am Gewebe des Patienten. Er versucht, Bewegung im Körper wieder herzustellen. Ein Osteopath arbeitet vereinfacht gesagt am Bewegungsapparat, am Organsystem und am Schädel. Auch ein Organ kann in seiner Beweglichkeit eingeschränkt sein. Als Beispiel: Einatmung kommt dadurch zustande, dass das Zwerchfell sich anspannt und damit nach unten bewegt. Alles was darunter liegt, die ganzen Bauchorgane, folgen dieser Bewegung nach. Wenn ich ausatme, geht alles wieder hoch. Die Organe bewegen sich also permanent nach oben und unten. Wir atmen 20.000 mal am Tag, meine Leber z.B. bewegt sich also 20.000 mal am Tag zirka zwei Zentimeter nach unten und wieder nach oben. Da kommt einiges an Strecke zusammen. Wenn diese Bewegung eingeschränkt ist, kann es zu Problemen kommen. Der craniosacrale Teil unserer Arbeit beruht auf der Grundlage, dass der Schädel aus einzelnen Knochenteilen besteht, die in sich und gegeneinander beweglich sind. Das sind ganz minimale Bewegungen, die man mit viel Übung ertasten und wahrnehmen kann. Das hat viel mit dem Liquor zu tun, Rückenmarkswasser, das auch das Gehirn und Rückenmark umspült. Auch diese Flüssigkeit kann man in seinem Fluß positiv beeinflussen.

Mittlerweile denke ich, der Begriff Osteopath beschreibt nicht umfassend, was ich tue. Der Begründer der Osteopathie, Dr. Andrew Taylor Still, hat im zwanzigsten Jahrhundert gelebt und seine Theorien aufgebaut. Die Patienten damals waren ganz Andere. Körperliche Arbeiter, die vom Pferd gefallen oder sich beim Hausbau verletzten. Es war sicher sinnvoll, manuell zu arbeiten. Wenn ich das aber mit der heutigen Zeit vergleiche, liegen die Gründe der meisten Beschwerden eher im Verhalten und Lebensstil der Menschen. Wenn ich primär an der Ursache arbeiten möchte – ein Grundsatz der Osteopathie – ist es unter Umständen nicht sinnvoll, Patienten rein manuell zu behandeln.

Wenn ich nach der Ursache schaue – Was ist das primäre Trauma? – und es ist nicht der Sturz vom Pferd, sondern einseitige Ernährung, Bewegungsmangel, schlechter Schlaf, oder gar die Kombination aus allem, zusätzlich zu Leistungsdruck und Stress, dann muss ich eigentlich am Verhalten des Patienten arbeiten. In den letzten fünf Jahren habe ich mich viel mit diesen Verhaltensweisen beschäftigt. Alles, was ich Patienten an Empfehlungen anbiete, probiere ich vorher selbst aus. Ich habe dabei viele Sachen mit tollen Effekten entdeckt. Mein Stoffwechsel hat profitiert, meine Fitness ist besser, allgemeines Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit haben sich durch diverse Verhaltensänderungen verbessert. Und das ganz ohne ein asketisches Leben mit vielen Entbehrungen leben zu müssen. Wenn man weiß an welchen Rädchen man zu welcher Zeit drehen muss, kann das alles “ganz nebenbei” im Alltag geschehen. Das will ich an meine Patienten weitergeben. Sie sollen nicht nur durchgewalkt aus meiner Praxis gehen, sondern mit mindestens einem wichtigen, vor allem interessanten “Aha-Effekt”. 

Was fasziniert dich an Gesundheit?

Es gab zwei markante Wegpunkte. Thomas Myers, Faszien-Guru aus den USA, hat das erste gescheite Buch über Faszien geschrieben. Anatomy Trains, ein wirklich gutes Buch. Aha, dachte ich, das ist also handfestes Arbeiten mit Bindegewebe. Ich habe in den USA seine ganze Ausbildung gemacht, sechs mal zwei Wochen am Stück innerhalb von neun Monaten. Das hat mich richtig vorangebracht. Die Ausbildung war im wunderschönen Maine, Natur pur. Ich habe bei Steve in Walpole gewohnt, mitten im Wald, wo auch zwei meiner Mitstudenten wohnten, Hobup und Brando. Der Weg zum Schulgebäude, das auch mitten im Wald lag, ging eine Dreiviertelstunde Fußweg durch den Wald, teilweise an der Küste entlang. Fast kein Internet, viel Raum und Zeit zum Philosophieren mit tollen Menschen. Es war eine Art Retreat, 2012 und 2013.

Als ich mich mit Veganismus beschäftigt und auch selbst so gelebt habe, und nach Gegenstimmen – pro Fleisch – suchte, bin ich auf Tom Fox gestoßen. Der machte in München einen Basis- und Aufbaukurs über Ernährung. Über Tom Fox bin ich auf die Klinische Psychoneuroimmunologie gestoßen. Da geht es um Physiologie und die Zusammenhänge von Symptomen, wie Diabetes, Stoffwechselgeschichten, Blutdruck, Autoimmunerkrankungen, Allergien. Mir war klar, auch diese Ausbildung muss ich machen! Die dauerte zwei Jahre und sie war so gut, dass ich sie noch ein zweites Mal gemacht habe.

Zuerst dachte ich: Ist das alles konform mit Osteopathie? Mittlerweile denke ich, eigentlich ist egal, wie man es nennt. Bei der Faszien-Ausbildung mit Thomas Myers waren ganz viele sogenannte Bodyworker dabei. Ich dachte zuerst ein bisschen arrogant: Bodyworker, was soll denn das sein? Im Laufe der Ausbildung habe ich gemerkt, ich bin eigentlich auch Bodyworker. Ich arbeite mit dem Körper. Die Beschäftigung mit diesen verschiedenen Bereichen hat mir die Freiheit gegeben, nicht ausschließlich osteopathisch arbeiten zu müssen, sondern vielmehr das erweiterte therapeutische Repertoire je nach Fall und Notwendigkeit sinnvoll einzusetzen. 

Stellst du deinen Beruf in Frage?

Ich erweitere ihn. Besonders die Erfahrung mit den “Bodyworkern” hat dafür gesorgt. Ich habe meinen Weg nicht verloren, sondern bin neue gegangen, die sich mir angeboten haben. Letzten Endes beschreibt das auch, wie Gesundheit funktioniert.

Was verstehst du unter Gesundheit und warst du selbst schon mal schwer erkrankt?

Die schwerste Erkrankung war meine Nierenbeckenentzündung mit 14. Und eine Unterschenkelfraktur. Über Gesundheit gibt es eine ganze Menge Definitionen, die schon sehr häufig neu überarbeitet wurden. Für mich ist Gesundheit die größtmögliche Flexibilität aller Organsysteme. Sodass jedes System des Körpers mich mit dem, was ich ihm anbiete – durch mein äußeres Umfeld oder mein eigenes Verhalten – möglichst gesund halten kann.

Zum Beispiel das Immunsystem. Ich muss nicht sofort einen Infekt bekommen, weil ich im Kontakt mit Kranken bin. Wenn mein Immunsystem flexibel ist, sagt es: Ah, ein unbekannter Erreger. So what. Es macht ihn platt ohne, dass ich davon etwas mitbekommen muss. Es beschützt mich im Hintergrund. Genau wie mein Herzkreislaufsystem entsprechend hochfährt, wenn ich rennen muss. Oder runterfährt, wenn ich mich zum Powernap auf meine eigene Behandlungsliege lege. Wenn die Systeme flexibel sind, machen sie alles mit. Wenn sie nicht mehr flexibel sind, kriege ich vielleicht schon ein flaues Gefühl, wenn ich kein Frühstück hatte. Dann drehen Geist und Körper durch und sagen: Wo ist die Nahrung, die ich gewohnt bin? Für die Frage nach der Erzeugung von Gesundheit, gibt es für mich zwei wichtige Begriffe. Zum Einen ist dies Balance, besonders für die heutige Zeit. Und zum Anderen Variabilität. Biete ich meinem Körper und Geist eine große Bandbreite von Reizen und das alles noch in einer guten Balance, kann mich das sowohl körperlich als auch geistig flexibel halten und mich gut durchs Leben führen.

Wie fühlt sich Kranksein an?

Letzten Endes ist es die Abwesenheit von Flexibilität. Man ist bettlägerig. Nicht mehr mobil. In der Salutogenese – bei der es vereinfacht gesagt um die Frage der Entstehung von Gesundheit geht – wird Gesundheit nicht als Zustand begriffen. Wenn ich einen kleinen Schnupfen habe, bin ich dann krank? Ich bin vielleicht ein kleines bisschen weniger gesund, aber das ist noch keine Krankheit. Man rutscht meist auf einem Kontinuum von mehr oder weniger Gesundheit. Wirklich krank ist man aber selten.

Wie hast du dich selbst verändert, seit du deinen Beruf ausübst?

Sehr. Ich war schon immer neugierig auf Selbstexperimente und Versuche. Mit 28, 29 habe ich mal die Mayr-Kur gemacht. Da gibt es nur trockene Brötchen, Weißmehl und Milch für vier Wochen. Das Gesetz der Monotonie. Mit meiner damaligen Freundin wollte ich Vorher/Nachher-Bilder machen. Es ist bei den Vorher-Bildern geblieben. Die habe ich noch und da kann ich genau sehen, wie ich mich verändert habe (lacht). Ich war nie dick, habe da aber sechs, sieben Kilo mehr gehabt. Und ich sah echt nicht gesund aus. Ich aß normal viel Fastfood und trank normal viel Alkohol. Was man halt so macht mit 28, 29. Oder eben nicht macht.

Wenn ich diese Bilder heute sehe, muss ich schmunzeln. Einiges hat sich zum Guten entwickelt, das empfinde ich deutlich so. Meine ganzen Interventionen aus der Psychoneuroimmunologie waren sehr hilfreich. Man kann viel machen und am Ende kann es so einfach sein, Gesundheit und Wohlbefinden und damit auch Lebensqualität zu verbessern. Ich kann natürlich nicht garantieren, dass ich keine ernstzunehmenden Krankheiten wie Krebs oder z.B. Herzkreislauferkrankungen bekomme. Aber die Wahrscheinlichkeit lässt sich auf jeden Fall deutlich reduzieren. Mir geht es um das Wohlbefinden. Ich fühle mich viel besser als damals. Und ich habe es zum großen Teil in der Hand. Ich bin kein Gesundheitsheiliger und kein Apostel. Man muss eben bloß wissen, an welchen Rädchen man drehen muss.

Mit welchem Wunsch kommen Menschen in deine Praxis?

Das ist ganz simpel. Der Wunsch ist: Mach’s weg! Nagut, ein bisschen mehr ist es schon. Menschen erwarten, dass die Frage „Wie geht es dir?“ tiefer geht. Dass sich jemand wirklich um sie kümmert, an ihnen interessiert ist. In der heutigen Zeit, wo das nicht mehr wirklich üblich ist, macht das sehr viel aus. Ich will keine Schulmediziner diskreditieren. Die Möglichkeiten in der Schulmedizin sind wirklich großartig. Vielleicht geht es dabei aber ein bisschen zu viel um Krankheit und zu wenig um die Frage, was mich eben gesund erhält. Ich will meinen Patienten vermitteln, dass Gesundheit allgegenwärtig ist. Wenn man ein paar Grundprinzipien beachtet ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich positiv auf meine Gesundheit auswirkt recht groß. Das mag ein bisschen esoterisch klingen, aber im Einklang mit der Natur – Balance und Variabilität! – zu leben, bietet eine Menge Potenzial für ein gutes Wohlbefinden.

Besteht eine Hierarchie zwischen dir und deinen Patienten?

Ich kann dir Hilfe anbieten. Du kannst sie annehmen, musst aber nicht. Es gibt eine Hierarchie, weil ich der Spezialist in meinen Bereichen bin. Aber ansonsten versuche ich Hierarchien aufzubrechen. Der ein oder andere Patient erfährt, dass ich erstmal die Physiologie vorbereiten möchte. Dann machen wir – vielleicht unerwartet für ihn oder sie – ein High-Intensity-Intervalltraining, für 60 Sekunden Vollgas. Das mache ich natürlich mit. Ich stehe nicht nebendran und schwinge die Peitsche. Da breche ich die Hierarchie und sage: Hey, das tut mir genau so gut. Ich bin dabei.

Spürst du Leistungsdruck, wenn jemand mit dem „Mach’s weg“-Wunsch kommt?

Ja. Früher viel mehr, als heute. Wenn ich nach dem Ziel des Patienten frage, versuche ich abzuwägen, wie hoch mein Anteil an dem Erreichen dieses Ziels ist und wie hoch der Anteil des Patienten. Wenn jemand beim Fußball im Park umgeknickt ist, liegt mein Anteil bei 95 Prozent. Dann denke ich, “leg dich hin, halt die Klappe, ich mach’s weg”. In vielen Fällen ist es auch andersrum. Das Ziel des Patienten ist genauso erreichbar, aber ich kann nur einen kleinen aber wichtigen Teil dazu beitragen. Machen muss er es aber selbst. Mir ist wichtig, das meinen Patienten genau so zu vermitteln.

Was hältst du vom Begriff: „Der innere Arzt“?

Ich glaube, es gibt keine Heiler. Höchstens den inneren Heiler. Auf einer medizinisch-physiologischen Ebene sprechen wir vom vegetativen Nervensystem und dem Parasympathikus, der dem Sympathikus gegenübersteht. Der Parasympathikus wird durch einen paarig angelegten Nerv repräsentiert, den Vagnusnerv. Eigentlich ist das der einzige Heiler, den wir haben. Natürlich, auch unser Immunsystem, das ist nicht nur gut gegen Viren, sondern auch für Reparaturprozesse. Aber die Umstände müssen stimmen. Diese Systeme funktionieren nicht gut, wenn wir in einer ständigen Kampf- oder Fluchtsituation sind. Wir müssen dafür sorgen, dass wir in einen vegetativ ruhigen Moment kommen. Dann kann Heilung gelingen. Das heißt, unsere Aufgabe ist, wollen wir gesünder werden, die Umstände so zu gestalten. Ein Arzt, Osteopath oder sonst wer kann dabei behilflich sein. Machen muss es der Patient selbst. Diese Verantwortlichkeit muss realisiert werden. 

Ich habe das Gefühl, keiner will mehr diese Verantwortung übernehmen. Jeder will nur noch “outsorcen”. Dabei kann man jeden Tag an vorhin erwähnten Rädchen für Gesundheit drehen. Nicht im Sinne: Ich kann machen was ich will, bis ich krank werde und erst dann achte ich auf Heilung. Heilung ist jeden Tag allgegenwärtig und zu einem großen Teil z.B. sogar im Schlaf zu finden.

Wie entspannst du dich selbst während deines Arbeitstages?

Das ist total einfach. Vor zirka 25 Jahren habe ich in einem Volkshochschulkurs Autogenes Training gelernt. Das sind immer noch die Elemente, die ich verwende. Obwohl ich es jetzt pragmatisch als Powernap bezeichne. Ich lege mich auf die Liege und kann es einfach passieren lassen. Manchmal dauert es fünf Minuten, manchmal fünfzehn und danach bin ich frisch. Das mache ich nach einer entspannten Mittagspause, in der ich gerne in Ruhe und alleine gesund und lecker essen gehe. Für mich ist eine Pause eine Pause. Eine richtige Erholungsphase. Ansonsten atme ich zwischendrin einfach mal durch. Selbst wenn ich mal spät dran und unter Zeitdruck bin, setze ich mich auf meinen Stuhl, lehne mich zurück, Hände auf den Bauch, Augen zu und dann vier langsame, tiefe und bewusste Atemzüge. Das fährt runter und ich muss manchmal selbst darüber lachen, wie gut es funktioniert. Und zwar unmittelbar. Natürlich mit entsprechender Übung, damit Körper und Geist wissen: Ah, jetzt sitzt er wieder auf seinem Stuhl, hat die Hände auf dem Bauch, jetzt geht es wohl in die Entspannung. Zack, schon passiert es.

Mein Wunsch ist, dass diese Techniken bereits in der Schule gelehrt werden. Gibt es politische Bestrebungen in diese Richtung?

Das weiß ich nicht genau. Weil ich aber viele Lehrer als Patienten habe, kann ich nur sagen: Wenn sie selbst  durch ihre Tätigkeit schon erschöpft und überfordert sind, wird den Kindern dieser Luxus erst recht nicht zukommen. Kinder, die schon viel zu früh im Unterricht sein müssen, ganz gegen ihren Biorhythmus. Nein, da passiert nicht viel. Aber es wäre wichtig. Wir müssen ihnen das ja beibringen. Wenn Kinder schon mit dem Bewusstsein aufwachsen, ab und zu mal innezuhalten, um sich wohl zu fühlen, fällt es ihnen als Erwachsene auch viel leichter.

 

Unter welchem generellen Begriff würdest du gesunde Verhaltensweisen zusammenfassen?

Artgerechtes Leben. Letzten Endes geht es darum, uns unserer Natur entsprechend zu verhalten. In dem Umfeld, das wir uns in den letzten Jahrzehnten gestaltet haben, gibt es so viele Faktoren, die weit weg von artgerecht sind. Unser Geist und unsere Arbeitsspeicher reichen nicht aus für die vielen Informationen, die es zu verarbeiten gibt. Darunter leidet der Geist und später auch der Körper. Deswegen: Raus in die Natur. Wenigstens so tun. Das Artgerechte zumindest simulieren. Das Fitnessstudio simuliert die Jagd. Die Tageslichtlampe signalisiert die Sonne, Vitamin D – Supplemente ersetzen teilweise das  Sonnenlicht, kurzfristiges Fasten ersetzt eine nicht erfolgreiche Jagd. Das sind kompensatorische Strategien, die nicht nötig wären, wenn wir ein natürlicheres Leben leben würden.

Wobei ich nicht sagen will, früher war alles besser. Aber ich denke, wir könnten heute vieles besser haben, wenn wir uns ein wenig an der Natur orientieren würden. Wir haben so viel Wissen, wie die Dinge funktionieren. Aber Wissen und Erkenntnisse haben, bedeutet nicht, sie auch umzusetzen. Ich würde sagen, wir haben genug Wissen. Jetzt könnten wir mal anfangen, damit etwas anzustellen. Aber wenn wir es schon nicht schaffen, mit uns selbst nachhaltig umzugehen, wie sollen wir es schaffen, mit der Umwelt nachhaltig umzugehen? Mein Wunsch ist das Anstreben eines Kulturwandels. Die Kultur, die wir führen, ist offensichtlich unserer Gesundheit nicht zuträglich. Lass uns doch mal gucken, was es für alternative Wege gibt. Das ist natürlich nicht einfach, weil die alten Wege in den Hirnen bereits fest eingebrannt sind. Es ist nichts schwieriger als Gewohnheiten zu brechen – aber möglich ist es.

Wenn die Natur wieder unsere vorderste Kultur wäre.

Ja, unbedingt. Der Natur über die Schulter schauen, gucken, wie sie funktioniert und nachahmen. Natur ist so komplex und auf einer gewissen Weise doch so simpel. Biologischer Landbau, im Einklang mit der Natur, zum Beispiel nach den Prinzipien der Permakultur. Wie reich man von der Natur beschenkt wird und wie viel Sicherheit es bietet, nach solchen Aspekten Garten- und Landbau zu betreiben. Dann gibt es z.B. auch genügend Studien zum Thema Waldbaden. Die Japaner haben gut untersucht, was passiert, wenn wir uns einfach nur im Wald aufhalten. Wir müssen im Wald nicht mal Sport machen, einfach nur da sein. Das macht schon so viel auf der Ebene unseres Immunsystems. Und das brauchen wir zum Heilen. Man muss es nur machen und passieren lassen.

Fühlst du dich in deinem Beruf angemessen gewürdigt?

Ich kann sehr zufrieden sein. Es ist ein sehr dankbarer Beruf. Man bekommt viel gutes Feedback – nicht immer, aber überwiegend. Oftmals bleibt der Wunsch: Leute, macht doch einfach mal! Wie hoch muss der Leidensdruck noch werden? Wenn du weißt, wie einfach es in vielen Fällen wäre, ist das manchmal etwas frustrierend zu sehen, wenn eine Verbesserung der Beschwerden eines Patienten ausbleibt. Aber ich kann es auch nachvollziehen. Wenn der Geist bereits voll ist, gehen die Leute aus meiner Praxis, meine Worte und Interventionen hallen vielleicht noch kurz nach, aber sofort sind die anderen Informationen wieder da. Mails, WhatsApp, Kollegen, Werbeplakate, Geräuschkulisse der Stadt. All das haut uns aus dem Potential zu sagen: Hey, heute mache ich mal etwas anders.

Manchmal fühlt sich das an wie der berühmte Kampf Don Quijote´s gegen Windmühlen. Und trotzdem hat sich in den letzten Jahren viel getan. Eine Entwicklung für mehr Achtsamkeit lässt sich wahrnehmen. Und doch gibt es diese Entwicklung auch in die Gegenrichtung. Manchmal denke ich, sie ist so dominant und massiv am Wachsen, dass ich eben einer dieser Hippies bin, die noch an den „alten“ Kram wie die Natur glauben. Manchmal glaube ich, der Mensch hat sich bewusst – oder unbewusst – für Technisierung entschieden und hofft nun, irgendein Erlöser werde unsere Probleme lösen. Ich selbst muss es nicht machen, irgendwer wird es schon tun.

Sich zu verändern, kann also auch weh tun und Angst machen.

Ja, unbedingt. Auch das ist ein Beispiel für das richtige Verhältnis von Anspannung und Entspannung. Wir brauchen beides. Dass wir uns immer nur wohlig fühlen, ist nicht das Ziel. Es ist sinnvoll, mal schön krank oder schön durcheinander zu sein. Weil es uns dann aufrüttelt, emotional packt und uns auf neue Wege leiten kann.

Hast du eine Lebensphilosophie, wie man schwere Zeiten durchsteht?

Hobup aus Detroit, den ich sehr schätze, ein Buddhist, hat mir damals einen guten Rat gegeben. Ich hatte einen apokalyptischen Traum, der mich sehr beschäftigt und verwirrt hatte. Ich habe ihn gefragt, wie er mit diesem Thema umgehen würde. Er sagte, er habe keine Angst davor, er habe ja seine Meditation. Damals, es war 2012, habe ich das nicht verstanden. Heute verstehe ich besser, was er meinte. Ich glaube, das kann der Weg sein. Ob ich ihn erreiche, weiß ich nicht. Ich glaube, ich kann alles so gut tun, wie ich eben kann. Alles andere liegt nicht in meiner Macht. Es ist wie es ist, ich akzeptiere es, und das ist auch der Zustand der tiefen Meditation.

Bildquellen: Foto 1+2 (priv.)
Schaubild Osteopathie: https://www.osteopathie-hro.de
Schaubild Salutogenese: https://de.wikipedia.org/wiki/Salutogenese

Online: https://frankfurt-osteopathie.de/praxis/

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