„Wir können entscheiden, welche Bedeutung wir bestimmten Ereignissen in unserem Leben geben wollen. Ich glaube, nur aus einem erfüllten Leben heraus können wir dann auch anderen etwas geben. Unser Glück und das der Anderen ist vernetzt. Wenn wir somit wieder in Verbindung mit anderen stehen können, bringt das glaube ich die letztendliche Erfüllung in unserem Leben. Das macht für mich Gesundheit aus und es bezieht die Gesundheit unseres Planeten mit ein.“
Dania Schumann
Studium der Ernährungswissenschaften. Promotion zum Dr. rer. medic. an den Kliniken Essen-Mitte, Abteilung Naturheilkunde und Integrative Medizin. Weiterbildung Ayurvedische Medizin, Yogalehrerin, Heilpraktikerin, Dozentin für Ayurveda, Ernährung und Yoga, wissenschaftliche Mitarbeit am Deutschen Institut für Ernährungsforschung und am Bundesinstitut für Risikobewertung, und zuletzt an der Charité Universitätsmedizin.
https://daniaschumann.com/
Für meine Interviewreihe „Mach’s weg“ habe ich rund 50 Interviews mit verschiedensten Perspektiven auf das Thema Gesundheit geführt. Schließlich wussten schon unsere Großeltern: Das Wichtigste im Leben ist die Gesundheit. Aber was ist das überhaupt? Lässt sich Krankheit einfach „wegmachen“? Und wieso kümmern sich Menschen umeinander?
Laurens Dillmann: Wie sieht ein normaler Arbeitstag bei dir aus?
Dania Schumann: Den gibt es eigentlich gar nicht. Bei mir liegen Arbeit und das persönliche Sein nicht weit voneinander entfernt. Das würde ich mir für viele Menschen wünschen. Für mich persönlich gibt es ein festes Morgenritual. Eine Meditation, eine Yoga-Routine, Atemübungen und meine Ayurveda-Routine wie Zunge schaben, warmes Wasser trinken, Ölziehen etc.
Mein Arbeitstag ist dann bunt gemischt. Content-Produktion, um Menschen zu informieren. Über Instagram-Beiträge, Programme für meine Kurse, oder den Podcast. Ich gebe Beratungen, online oder vor Ort. Und ich betreue außerdem meine Ausbildungsgruppe zum ganzheitlichen Ayurveda-Ernährungsberater und Online Kurse.
Wie definierst du Gesundheit?
Im Ayurveda ist die Definition, dass das Individuum und seine Doshas (die Bioenergie) und Dhatus (die Gewebe), seine Ausscheidungsfunktionen und energetischen Funktionen im Gleichgewicht sind. Aber auch der Geist des Menschen sollte gesund sein, frei von Leiden. Ein gesunder Geist bedeutet ein erfülltes und glückliches Leben zu leben. Das bedeutet nicht, dass wir nie Schmerz empfinden, sondern, dass wir immer die Wahl haben, ob wir aufgrund eines Schmerzes leiden oder nicht. Wir können entscheiden, welche Bedeutung wir bestimmten Ereignissen in unserem Leben geben wollen. Ich glaube, nur aus einem erfüllten Leben heraus können wir dann auch anderen etwas geben. Unser Glück und das der Anderen ist vernetzt. Wenn wir somit wieder in Verbindung mit anderen stehen können, bringt das glaube ich die letztendliche Erfüllung in unserem Leben. Das macht für mich Gesundheit aus und es bezieht die Gesundheit unseres Planeten mit ein.
Auf welche Werte berufst du dich in deiner Arbeit?
Ich finde es ganz spannend, sich zuerst zu fragen, wer man eigentlich ist, bevor man über seine Werte spricht. Häufig übernehmen wir diese nämlich aus der Gesellschaft. Wir sagen dann zum Beispiel schnell: Mir ist Ehrlichkeit wichtig, gestehen uns aber nicht ein, dass wir selbst gar nicht nach diesem Wert leben. Ich sage das, weil es für mich eine Zeit gebraucht hat, meine wirklichen Werte herauszukristallisieren.
Einer meiner höchsten Werte ist Verbundenheit. Das spiegelt sich in all meiner Arbeit wieder. Wenn diese Arbeit nicht angebunden ist – an mich selbst, an andere, an das was gebraucht wird, und das was ich selbst brauche – und nicht in Relation zum großen Ganzen steht, merke ich, dass in mir ein tiefer innerer Kern verletzt wird.
Das heißt nicht, dass es immer gelingen muss, in hundertprozentiger Perfektion nach diesen Werten zu leben. Aber wir können uns auf Werte zurückberufen, uns neu orientieren und über sie zu uns selbst zurückfinden, wenn wir uns verloren haben.
Was für Rückmeldungen bekommst du von den Menschen, mit denen du arbeitest?
Die Rückmeldungen sind die größten Geschenke für mich. Teilweise so tief und berührend, dass ich es selbst kaum glauben kann. Das ist mein größter Antrieb, zu hören, was sich durch zum Beispiel ein Coaching bewegt hat. Die Dankbarkeit und vor allem zu wissen, dass diese Menschen ihren Weg jetzt weitergehen können. Dass es manchmal nur einen kleinen Anschubs gebraucht hat.
Mit was für Wünschen kommen Menschen zu dir? „Mach`s weg“?
Da habe ich sehr unterschiedliche Erfahrungen, weil ich in viele Bereiche und Arbeitsfelder hineinschauen durfte. Ich habe in Kliniken und in der Forschung gearbeitet. Und ich gebe private Beratungen. Wenn Menschen zu mir wegen einer ayurvedischen Ernährungsberatung kommen, ist ihnen meist schon sehr bewusst, dass ich es nicht wegmachen kann. Ich bin eine Prozessbegleiterin, die ihnen hilft, selbst tätig zu werden. Während in einer Klinik Menschen oft tatsächlich genau mit dem Anspruch kommen, ihre Krankheit müsse einfach wegzumachen sein. Der Arzt, Berater oder Heilpraktiker trage diese Verantwortung.
Ich glaube also, der Gedanke „Mach`s weg“ kommt von einer mangelnden Selbstverantwortung. Ich meine das nicht wertend. Es ist eher ein Mangel an Erkenntnis, dass wir selbst unglaublich stark und fähig sind, uns selbst zu heilen. Wenn wir die richtigen Schritte gehen. Das ist leider auch mit einem gewissen Schmerz verbunden. Und zwar dem Schmerz, die Komfortzone verlassen zu müssen. Das ist beängstigend und das kann ich absolut verstehen.
Wie funktioniert Selbstheilung deinem ayurvedischen Wissen nach?
Es ist schön, dass es nicht das eine Rezept gibt, das alle anwenden können. Ayurveda hat einen individuellen Ansatz. Es gibt in ihrem Sinne nicht „die Krankheit“, sondern immer nur „den Menschen“. Fünf Menschen können Diabetes haben, aber die Wurzel dessen kann bei jedem unterschiedlich sein. Ayurveda denkt ebenso, dass der Mensch bei einer Krankheit in ein Ungleichgewicht von Körper-Geist-Seele gefallen ist.
Wenn wir von Selbstheilung sprechen, hat der Körper natürliche Mechanismen, die dafür zuständig sind. Die Leber ist eines der größten Organe, das uns unterstützt, zu entgiften. Es finden täglich so viele Reparaturprozesse in uns statt, die wir oft nicht genug honorieren. Wenn du dir überlegst, wie viele Zellen täglich sterben und neu entstehen: Ständig wird Selbstheilung geleistet. Wenn sich nun Symptome oder bereits die Krankheit entwickelt haben, können wir uns fragen, wie wir unserem Körper helfen können, diese natürlichen Selbstheilungsmechanismen wieder erstarken zu lassen. Das beste Beispiel ist die gesamte Forschung zum Thema Fasten. Fasten ist nichts Anderes als dass wir dem Körper genau diese Möglichkeit geben. Das ist wie, wenn wir einen überfüllten Schreibtisch haben. Wenn immer mehr dazu kommt, fallen die Zettelberge zu allen Seiten herunter. Wenn wir uns die Zeit geben, aufzuräumen, lässt sich irgendwann auch wieder konzentriert arbeiten.
Das ist der eine Weg der Selbstheilung. Raum schaffen, damit es von alleine passiert. Dann gibt es noch den individuellen Ansatz. Ist es der Lebensstil, der mich krank gemacht hat? Oder sind es gar meine eigenen Gedanken? Ist es mein Umfeld? Ist etwas in mir, das nicht zum Ausdruck kommen kann? Ich glaube, dass wir alle aus einem bestimmten Grund lebendig sind. Wenn wir über Gesundheit sprechen, ist es wichtig, dass wir uns als Individuum ausdrücken können. Das wird sehr oft gedeckelt. Durch Erziehung, unsere Gesellschaft, die eigenen oder übernommenen Vorstellungen, wie man sein oder nicht sein sollte. Man kann sich also wirklich in der Tiefe fragen: Was hat mich krank gemacht? Was trägt aktuell nicht dazu bei, dass ich mein bestes, gesündestes Selbst ausleben kann?
Du sprichst von Verbundenheit und vom Verhältnis Körper-Geist-Seele. Diese Begriffe hört man in der Schulmedizin eher selten. Wieso?
Häufig ist es so, dass wir uns noch immer sehr abhängig von der Genetik machen. In der Forschung zur Epigenetik wissen wir mittlerweile: Es sind nicht die Gene, die bestimmen, wie wir uns ausdrücken. Es sind Veranlagungen, aber wir entscheiden, wie sie abgeschrieben werden. Wir entscheiden über ihren Ausdruck, durch unsere Entscheidungen, Handlungen und unseren Lebensstil.
Unser Geist spielt ebenfalls eine wichtige Rolle für unsere Gesundheit, daher sind Meditation und Fokusübungen ein wichtiger Bestandteil östlicher Medizinsysteme. Das Konzept der Seele geht noch ein Stück weiter, in dem Sinne, dass wir hier sind, um bestimmte Erfahrungen zu machen und uns zu entwickeln. Jeder von uns schreibt eine ganz eigene Lebensgeschichte, in der natürlich auch schmerzvolle Situationen auftreten können z.B. in Form von Krankheiten. Im Weg zur Heilung liegt ein riesiges Potential uns zu entwickeln.
Fehlt es in der wissenschaftlichen Welt an einer Auseinandersetzung mit Spiritualität?
Ich glaube nicht, dass wir den Sinn unseres Lebens nur entdecken können, indem wir uns mit Spiritualität befassen. Es gibt unglaublich tolle, erfüllte, weise Menschen, die sich nie mit Spiritualität oder Philosophie befasst haben. Die trotzdem ihre Arbeit leisten und ihr Umfeld positiv beeinflussen. Mein Biochemie-Professor, der sich sicher nicht als spirituell in diesem Sinne bezeichnen würde, sagte in seinem Unterricht einmal: Eine Zelle vergisst nie, wo sie herkommt. Ich werde diesen Satz nie vergessen. Im Prinzip hat er damit gesagt: Eine Zelle hat Bewusstsein. Egal ob wir sie aus ihrem natürlichen Verbund heraus nehmen. Natürlich braucht sie die richtigen Nährstoffe. Aber eine Leberzelle vergisst nicht, dass sie eine Leberzelle ist. Auf der anderen Seite haben wir natürlich auch Stammzellen, die, je nachdem, in welches Medium sie gelegt werden, in unterschiedliche Zellen differenzieren. Was uns auch wiederum zeigt, wie sehr es auf das ankommt, womit wir uns selbst nähren, denn das bestimmt unsere Entwicklung.
Was ich sagen kann: Bewusstsein ist wichtig. Präsenz. Das ist die wichtigste Qualität, die wir in Heilberufen brauchen. Präsent zu sein mit dem Patienten. Mit der Situation. Sobald ich den Patienten als „Krankheit“ behandle, bin ich nicht mehr präsent. Weil ich nicht das sehe, was ist. Das Individuum vor mir. Das liegt aber nicht nur am Menschen, der behandelt und vielleicht nicht aufmerksam und achtsam ist. Viele werden in ein System gepresst, das ihnen kaum Zeit und Raum lässt, bewusst zu sein. Natürlich können wir selbst entscheiden, tief durchzuatmen. Aber diese Entscheidung wird eher vergessen, wenn extremer Druck im Gesundheitssystem besteht. Viele meiner Freunde sind Ärzte und berichten mir genau das.
Ich glaube, das Problematische in der Wissenschaft ist, dass wir oft vom Einzelnen auf das Ganze schließen wollen. Wir wollen alles in ein Muster pressen, um es auf möglichst vieles anzuwenden. Es herrscht Publikationsdruck, bei dem es nur noch um die Ergebnisse und nicht mehr um eine saubere Arbeit geht. Genauso schwierig sind auch feste Überzeugungen. Immer wenn wir von etwas überzeugt sind und es beweisen wollen, bringen wir einen Bias mit. Wenn ich bereits im Vorhinein die Ansicht habe, dass eine Tablette oder Yoga bei Krankheit XY wirkt, dann bin ich vielleicht mehr dazu geneigt, die Ergebnisse meiner Studie so zu interpretieren, dass sie dem eigenen Glauben entsprechen. Für mich ist das Wichtigste, was ich als Wissenschaftlerin durch Spiritualität gelernt habe: Die Dinge so anzunehmen, wie sie sind. So häufig wollen wir ein bestimmtes Ergebnis erzwingen. Davor sind auch die trockensten Wissenschaftler nicht gefeit. Wenn aber ein Ergebnis so sein muss, wie ich es gerne hätte, handele ich nicht mehr wissenschaftlich.
Wie wichtig ist es, selbst an Heilung zu glauben?
Ein ganz wichtiger Punkt. Wenn wir uns die Placebo-Forschung etwas näher anschauen: Da können wir sehen, dass Menschen, die ein Placebo nehmen und an einen Effekt glauben, nahezu dieselben Ergebnisse bekommen wie Menschen, die das eigentliche Medikament nehmen. Das ist hochinteressant und darüber gilt es nachzudenken, wenn wir über das wissenschaftliche randomisierte-kontrollierte Studiendesign sprechen. In einer guten Studie sollte das explizit abgefragt und evaluiert werden. Wie sehr glauben sie daran, dass dieses Medikament diese oder jene Wirkung hat? Es ist wichtig, um in einer späteren Statistik herausrechnen zu können, ob es einen Bias in der Hinsicht gibt.
Was hältst du in diesem Zusammenhang davon, wenn ein Arzt zu seinem Patient sagt: „Sie haben noch vier Monate zu leben.“?
Ich denke wir müssen Wege finden, gut mit Patienten zu kommunizieren, besonders wenn es um Diagnosen geht, die einen großen Lebenseinschnitt bedeuten. Es gibt Patienten, die ein posttraumatisches Syndrom aufgrund ihrer Diagnose entwickeln. Häufig entsteht vor allem bei Krebspatienten immenser Druck und Angst, wenn sie ihre Diagnose bekommen. In dieser Angst sind wir auch nicht mehr fähig, klare Entscheidungen zu treffen für ein weiteres Vorgehen zu unserem Besten. Da gibt es nur noch die Angst und das eventuelle Trauma der Diagnose. Das erfordert eine gute Begleitung auch nach der Diagnose und braucht eine Zusammenarbeit von Ärzten/Ärztinnen und z.B. PsychologInnen.
Behandeln dich Menschen anders, wenn sie von deinem Doktortitel erfahren?
Ein Doktortitel hilft sicherlich immer noch, eine gewisse Anerkennung zu bekommen, besonders in Deutschland. Ein medizinischer Doktortitel bringt auch nochmal andere Anforderungen mit sich, als ein naturwissenschaftlicher oder medizinwissenschaftlicher Doktortitel, allein was die Auseinandersetzung mit der Materie und den Zeitraum betrifft. Viel wichtiger finde ich die Berufserfahrung, die jemand mitbringt und die Verantwortlichkeit mit der- oder diejenige den Beruf ausübt.
Du sagtest ja, wie wichtig es ist, in einer Behandlung präsent und wachsam zu sein. Was für eine Rolle spielen Geben und Nehmen?
Ich glaube, Geben und Nehmen sind nicht zwei verschiedene Dinge. Sie sind zwei Seiten ein und derselben Münze. Sobald wir nehmen, geben wir. Sobald wir geben, nehmen wir. Gerade in Heilberufen handeln viele aus dem Gedanken, sie müssen jemandem etwas geben. So stellen sie sich selbst ins Zentrum und werden immer zum Gebenden. Das ist unglaublich auszehrend, auch das höre ich ganz häufig. Ich sehe es eher so, dass ich einen Raum halte. Mein Klient ist auf absoluter Augenhöhe und ich begleite ihn oder sie auf diesem Prozess. Natürlich gebe ich auch Anregungen. Ich entwickle einen Plan oder Vorschläge. Aber zuerst gebe ich diesen Raum. Es geht nicht darum, jemandem etwas überzustülpen oder Ratschläge zu erteilen. Sondern mein Gegenüber zur Sicht auf das zu verhelfen, was bereits vorhanden ist. Deswegen nennen wir es auch Persönlichkeits-ent-wick-lung. Es geht nicht darum, von Außen etwas zuzuführen. Ich muss meinen Lebenssinn und meine Gesundheit nicht im Außen finden. Es ist alles schon da. Ent-wick-lung – auch eine Vorstellung aus dem Yoga – heißt also einfach nur, die Schleier und die Verwicklung aufzulösen und zu den eigenen Ressourcen zurück zu finden.
Deswegen ist es immer auszehrend, wenn ich mich selbst als Gebende – und zwar immer nur als gebend – betrachte. Menschen in Heilberufen müssen sich auch Zeit für sich selbst nehmen können. Das betrifft die Arbeitsweise aber auch Zeit außerhalb des Berufes. Hier ist es wichtig sich zu fragen: Wo kann ich mir den Raum und die Möglichkeit zu geben, etwas für mich zu tun und mich selbst zu nähren?
Leider weisen viele Heil-, Pflege- und Sozialberufe sehr schlechte Arbeitsbedingungen auf und ermöglichen wenig Zeit und Raum für ein bewusst gestaltetes Arbeiten. Das führt dann wiederum häufig zu einem Burnout in diesen Berufen.
Gerade im spirituellen Kontext wird nahezu alles mit dem „Energiefluss“ erklärt. Was hat Energiefluss mit unserer Gesundheit zu tun und wie kann man ihn wissenschaftlich begründen?
Der Begriff Energie wird leider oft inflationär benutzt ohne wirklich zu wissen, was damit gemeint ist. Letztendlich sprechen wir bei Energie über etwas, das unterschiedlich wahrgenommen werden kann. Energie im Yoga wird als Prana – die Lebenskraft – bezeichnet. Ich kann das aber auch ganz nüchtern betrachten und mir die Energie anschauen, die frei wird, wenn ich ein Atom spalte. Ich kann mir elektrische Energie anschauen, mit der meine Glühbirne brennt. Energie kann viele verschiedene Formen und Ausdrücke annehmen. Gerade Menschen, die das erste Mal Yoga machen, spüren plötzlich, wie Energie durch ihren Körper fließt. “Wow. Ich habe auf einmal viel mehr Energie. Meine Hände kribbeln und pulsieren.” Wir können Energie als Klarheit im Kopf wahrnehmen. Oder als erhöhter Blutfluss und damit mehr Sauerstoff, der durch uns zirkuliert.
Aber es gibt eben auch die viel subtilere Energie: Prana. Wenn Prana blockiert wird – durch „energetische“ Blockaden – passiert dasselbe, wie wenn der Blutfluss in meinen Fuß blockiert ist: Der Fuß stirbt nach einer Zeit ab. Wenn ich nun eine „energetische“ Blockade im Körper habe, kann das entsprechende Körperteil beeinträchtigt sein, selbst wenn der Blutfluss noch fließt. Die chinesische Medizin beschreibt die Energiekanäle des Körpers als Meridiane, im Yoga und Ayurveda sind es die Nadis und die Marmas, noch speziellere Energiepunkte. Wenn wir aus der Sicht der Energie gucken, besteht also ein System, das wir aus Sicht der heutigen Wissenschaft noch gar nicht fassen und mit unseren Methoden darstellen können. Es ist aber unglaublich wichtig und bin mir sicher, wir werden es noch begründen und verstehen können.
Warum können Yogis und ayurvedische Ärzte diese subtileren Ebenen von Gesundheit erfassen, unsere Messinstrumente aber nicht? Gibt es so etwas wie eine intuitive Wissenschaft?
Ich denke, dass es keine Magie ist, Anzeichen schon früher zu erkennen und nicht erst wenn Krankheitssymptome auftreten. Das lernt auch jede/e Arzt/Ärztin im Medizinstudium, z.B. ein frühes Anzeichen für einen erhöhten Blutzuckerspiegel kann verstärkter Durst sein. Ayurveda hat da ein ganz besonders ausdifferenziertes System solche Anzeichen eines Ungleichgewichtes und die Signale des Körpers zu deuten.
Was hat Leidensdruck mit Krankheit und Heilung zu tun?
Wir sollten viel dankbarer für unseren Leidensdruck sein. Ich kann immer aus zwei Perspektiven auf mein Leben gucken. Entweder: Warum muss das gerade mir passieren? Warum immer ich? Oder: Was sagt es mir gerade? Passiert es nicht eher für als gegen mich? Auch das ist Einstellungssache und hat mit Selbstheilung zu tun. Aus der Perspektive zu schauen, was ich daraus lernen kann bedeutet nicht, einen Schönheitsfilter über alles zu legen. Es ist nicht immer schön. Das Leben kann traurig und unfassbar schmerzhaft sein. Und das ist ok. Es ist wichtig, all das zu fühlen. Und dann zu schauen: Wohin lenkt es mich? Was ergibt sich für mich daraus? Manche Menschen brauchen genau diesen Leidensdruck, um notwendige Veränderungen einzuleiten.
Wie hast du die Entwicklung der letzten Jahrzehnte in der öffentlichen Betrachtung von Gesundheit und Krankheit erlebt?
Ich denke, dass sich viele Menschen immer mehr ihrer eigenen Verantwortung für ihre Gesundheit bewusst werden. Es ist schön zu sehen, dass mit z.B. Ernährung, Yoga oder Meditation immer mehr Methoden betrachtet werden, um die eigene Gesundheit beeinflussen zu können. Wir sollten aber auch hier nicht dogmatisch werden oder uns von einer Angst leiten lassen. Denn das kann zu einer Angst führen, etwas falsch zu machen und letztendlich steht dann die Frage im Vordergrund: Mache ich das aus Angst vor Krankheit oder dem Tod? Oder mache ich etwas aus einer bejahenden, positiven Einstellung heraus, die Freude am Leben involviert?
Kommt man besser mit dem Tod zurecht, wenn man sich mit Spiritualität auseinandersetzt?
Ich denke, das kommt darauf an, wie sehr man sich vor der Ungewissheit fürchtet. Es ist menschlich vor dem, was wir nicht kennen oder erfassen können, Angst zu haben, Spirituelle Konzepte können uns zwar helfen, da sie den Tod als integralen Teil unseres Lebens beschreiben, statt ihn zu verschweigen, wie es häufig in unserer Gesellschaft der Fall ist. Es hilft, etwas mehr Aufmerksamkeit und Verständnis dorthin zu lenken, das Ungewisse bleibt jedoch. Die Frage ist eher, wie sehr sind wir gewillt uns auf das Leben als etwas Ungewisses und Unplanbares einzulassen und in uns Selbst Sicherheit zu finden, statt im Außen.
Krankheit gehört daher genauso zum Leben, wie der Tod. Es ist wichtig, sich mit diesen Themen zu beschäftigen, um wirklich leben zu können. Häufig sehen wir das bei Menschen, die sich von einer schweren Krankheit erholen. Ihre Sicht auf das Leben und die Wertschätzung dafür ändert sich. Häufig entdecken wir dann erst unser einzigartiges Potential, das jeder von uns mitbringt. Das kann ich eben nicht, wenn ich ständig Verdauungsbeschwerden oder Migräne habe, ständig krank bin, oder wenn es um mein eigenes Überleben geht. Das erschwert mir natürlich, voll in meiner Kraft zu stehen.
Fantasiespiel: Du bist Königin deines eigenen Landes und kannst dir ein Gesundheitswesen basteln:
So oft denken wir, Dinge besser zu wissen. Häufig denken wir, Gutes zu tun, und etwas furchtbar Schlechtes kommt dabei heraus. Ich glaube, was es wirklich braucht, ist der Willen zu experimentieren und zu schauen, was wirklich funktioniert. Denn ich könnte dir ein paar Dinge aus meiner Vorstellung sagen und hätte keine Ahnung, was dabei herauskommt. Das finde ich das Spannende an unserer Welt. Wir haben sie einfach noch immer nicht vollständig verstanden.
Schön wäre ein System, das auf Augenhöhe funktioniert. In dem klar gemacht wird: Du bist selbst verantwortlich für deine Gesundheit, du kannst dir aber Hilfe holen, wenn du sie brauchst. Und diese Hilfe findet auf Augenhöhe statt. Ein ganz großer Wunsch ist, Bedingungen zu schaffen, in denen die Menschen, die in diesem Gesundheitssystem arbeiten, selbst gesund sein und bleiben können. In dem sie sich auch die Zeit dafür nehmen dürfen. Berufe, die so unglaublich wertvoll sind – nicht nur das Gesundheitsystem betreffend – sondern auch Kinderbetreuung, Altenpflege, sollten nicht schlechter bezahlt werden als irgendwelche Top-Manager. Wir brauchen Wertschätzung für das, was diese Menschen an unglaublicher Arbeit leisten.
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